Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(8): 413-414
DOI: 10.1055/s-2005-863068
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Letale Polypharmazie bei einem Hypertoniker - Erwiderung

M. DiethelmM. Jörger
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Publication Date:
17 February 2005 (online)

Wir danken Herrn Kollegen Werner für seinen Leserbrief, der die Möglichkeit gibt, weitere Aspekte der antihypertensiven Therapie im Alter zu beleuchten, was aufgrund des limitierten Platzes in unserer Kasuistik [5] nicht möglich war.

Ad 1. Es ist richtig, dass bei Senioren mit einer verminderten Nierenfunktion gerechnet werden muss. Viele Autoren beschreiben diese physiologische Abnahme der Nierenfunktion im Alter [4]. Das Alter geht auch in die meisten Formeln zur Abschätzung der Nierenfunktion ein, wodurch mit zunehmendem Alter die berechnete Kreatinin-Clearence eben sinkt. Allerdings vertritt die Arbeitsgruppe um Ritz die These, dass beim völlig gesunden Senior die Kreatinin-Clearance nicht unter den Normwert sinkt [3]. Weiterhin ist zu beachten, dass bei einem Anstieg des Serumkreatinins über den oberen Normwert die GFR bereits um ca. 30 % vermindert ist.

Bei unserem Patienten haben wir diese wichtigen Überlegungen nicht ausgeführt, da leider vor der Änderung seiner Medikation das Kreatinin gar nicht gemessen wurde.

Ad 2. Bezüglich der zu hohen Dosierung von Hydrochlorothiazid stimmen wir mit Werner völlig überein. Die von ihm zitierten britischen Empfehlungen wurden im Jahr 2004 erneuert und empfehlen nicht mehr als 25 mg Hydrochlorothiazid (HTZ) pro Tag [8]. Ob mit von Dr. Werner suggerierten, noch tieferen Dosen auch eine kardiovaskuläre Protektion erreicht werden kann ist nicht gesichert [8]. Nach wie vor können tief dosierte Thiaziddiuretika als kostengünstige und effiziente antihypertensive Therapie mit sehr gut belegter Wirksamkeit (insbesondere bei der isolierten, systolischen Hypertonie im Alter) empfohlen werden [2].

Ad 3. Eine schlüssige Beurteilung eines verminderten Extrazellulärvolumens (EZV) ist schwierig und stützt sich in erster Linie auf die klinische Untersuchung (Abschätzung des Zentralvenendrucks an den Halsvenen, orthostatische Hypotonie). Bei den Laborwerten weist eine tiefe Natriumkonzentration im Urin auf eine EZV-Defizit hin. Änderungen von Natrium und Harnstoff im Serum können bei schwerwiegenderen Hypovolämien auftreten, aber auch viele andere Ursachen haben. Das ändert natürlich nichts an der Gültigkeit des Slogans „Start slow, go slow“ bei der Hypertoniebehandlung in der Geriatrie.

Ad 4. Werner beschreibt die bei älteren Menschen häufige und potenziell gefährliche Medikamentenkombination eines ACE-Hemmers mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) bei zusätzlicher Hypovolämie. Auch wir haben vor der risikoreichen Kombination in unserer Tab. 1 gewarnt [5]. Der Patient in unserer Kasuistik hat anamnestisch keine NSAR eingenommen. Erstaunlich ist, dass in den Beipackzetteln von ACE-Hemmern und NSAR nicht vor deren Kombination gewarnt wird und auch keine besonderen Laborkontrollen empfohlen werden. Sowohl aus geriatrischer wie aus nephrologischer Sicht birgt der gleichzeitige Gebrauch von NSAR und ACEI ein nicht unwesentliches Gefahrenpotential. Dies einerseits, weil die Autoregulationsmechanismen der Nierendurchblutung gleichzeitig auf zwei Ebenen (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und Prostaglandin) beeinträchtigt werden und andererseits die Möglichkeit einer Hyperkaliämie (hyporeninämer Hypoaldosteronismus) nicht unterschätzt werden sollte. NSAR erschweren die Einstellung einer arteriellen Hypertonie [1] und sind ein Risikofaktor für die Manifestation einer Herzinsuffizienz [7], weshalb auch wir eine zurückhaltenden Einsatz von NSAR insbesondere im Alter dringend empfehlen.

Ad 5. Die seit der RALES-Studie immer häufiger verordnete Kombination von ACE-Hemmern und Spironolacton bedarf unbedingt einer regelmäßigen Kontrolle des Serumkaliums. Dass diese neue Form der Herzinsuffizienztherapie zu nachweisbar mehr Spitaleinweisungen wegen Hyperkaliämie geführt hat, konnte in Kanada eindrücklich nachgewiesen werden [6].

Ad 6. Die Vorteile von Fixkombinationen insbesondere bezüglich Compliance sind auch in der Geriatrie unbestritten. Neben einem Therapiebeginnn mit der niedrigdosierten Gabe von Einzelsubstanzen schlagen wir als Alternative vor, die Fixkombinationen in der tiefst möglichen Dosierung zu beginnen. Natürlich gehören vor Beginn oder relevanten Änderungen der Therapie eine klinische Untersuchung (insbesondere mit der Beurteilung des EZV) und eine Laboruntersuchung (mit mindestens Kalium und Kreatinin) dazu.

Literatur

  • 1 Johnson A G, Nguyen T V, Day R O. Do Nonsteroidal Anti-inflammatory Drugs Affect Blood Pressure? A Meta-Analysis.  Ann Intern Med. 1994;  121 289-300
  • 2 Chaudhry S I, Krumholz H M, Foody J M. Systolic hypertension in older persons.  J Am Med Assoc. 2004;  292 1074-1080
  • 3 Fliser D, Franek E, Ritz E. Renal function in the elderly - is the dogma of an inexorable decline of renal function correct?.  Nephrol Dial Transplant. 1997;  12 1553-1555
  • 4 Jehle A, Krapf R. Nierenfunktion und Nierenerkrankungen beim älteren Menschen.  Schweiz Med Wochenschr. 2000;  130 398-408
  • 5 Joerger M, Diethelm M. Letale Polypharmazie bei einem Hypertoniker.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 2714-2716
  • 6 Juurlink D N, Mamdani M M, Lee D S, Kopp A, Austin P C, Laupacis A, Redelmeier D A. Rates of hyperkalemia after publication of the Randomized Aldactone Evaluation Study.  N Engl J Med. 2004;  351 543-551
  • 7 Mamdani M, Juurlink D N, Lee D S, Rochon P A, Kopp A, Naglie G, Austin P C, Laupacis A, Stukel T A. Cyclo-oxygenase-2 inhibitors versus non-selective non-steroidal anti-inflammatory drugs and congestive heart failure outcomes in elderly patients: a population-based cohort study.  Lancet. 2004;  363 1751-1756
  • 8 Williams B, Poulter N R, Brown M J, Davis M, McInnes G T, Potter J F, Sever P S, McG Thom S. British Hypertension Society . Guidelines for management of hypertension: report of the fourth working party of the British Hypertension Society, 2004-BHS IV.  J Hum Hypertens. 2004;  18 139-185

Dr. med. Markus Diethelm

Leitender Arzt Fachbereich Allgemein Innere Medizin, Departement Innere Medizin, Kantonsspital

CH-9007 St. Gallen

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Dr. Markus Jörger

Division of Experimental Oncology, The Netherlands Cancer Institute

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