Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(6): 270
DOI: 10.1055/s-2005-837412
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das (meist) bequeme Leben mit der Fiktion des Zufalls

The (usually) comfortable life with the fiction of chanceE. G. Eising1 , W. Jentzen1
  • 1Nuklearmedizin der Universität Essen
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Publication Date:
03 February 2005 (online)

Seit dem Einzug der Statistik und deren systematisierter Anwendung als evidenzbasierte Medizin ist so manches medizinische Dogma ins Wanken geraten. Neue Berufsfelder wie die Placebochirurgie feiern fröhliche Urständ und sind dazu geeignet, epigastrische Beschwerden beim medizinisch verbildeten Leser auszulösen. Da scheint es schon angezeigt, den einen oder anderen Ball mit einem Vorhand-Volley in Richtung Statistik zurückzuschlagen: Fächer wie Statistik, Stochastik etc. gründen sich auf den Zufall als tragende Säule. Doch gibt es überhaupt einen Zufall?

In Zeiten der Relativitätstheorie gelten deterministische Betrachtungsweisen in der Physik nicht mehr als chic, obwohl bekannt ist, dass auch die neuen, bekanntlich unbewiesenen Theorien wie Relativitäts- und Quantentheorie bereits schon miteinander kollidieren (mit einem Schuss englischen Humors nachzulesen in S. Hawking: Universum in der Nussschale).

Zufall ist nach Ansicht des konservativ eingestellten Schreibers dieser Zeilen nicht beweisbar: Sind z. B. Molekularbewegungen nicht mit den gängigen Methoden vorausberechenbar, so kann dies auch daran liegen, dass die Kenntnisse über die zugrundeliegenden Mechanismen unzureichend sind, was in Zeiten wie der heutigen, in denen selbst grundlegende Kräfte, wie die Gravitation nur beschrieben, aber nicht begriffen werden, nur verständlich ist. Viele annähernde Gleichverteilungen, wie die Ausrichtung paraller und antiparaller Magnetspins unter Einwirkung eines externen Magnetfeldes, ergeben sich aus energetischen Gründen.

Würde es demnach keinen Zufall geben, wäre z. B. auch unsere Entscheidungsfreiheit nur eingebildet, was wiederum interessante juristische Konsequenzen hätte: Welchen Entscheidungsfreiheitsgrad sollte jemand haben, um überhaupt noch verurteilt werden zu können? - Man sieht hieran leicht, dass unser gesamtes Gesellschaftssystem an der Fiktion des Zufalls hängt.

Der deterministische Ansatz ist allerdings sehr unbequem: Ob wir irgendwann einmal in der Lage sein werden, auch nur das Verhalten eines einzigen Atoms vorausberechnen zu können, erscheint mehr als fraglich.

Priv.-Doz. Dr. Ernst G. Eising

Elper Weg 66

45657 Recklinghausen

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