Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(45): 2435-2436
DOI: 10.1055/s-2004-835286
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wiederaufnahmeregelung im DRG-System: eine Gesamtbetrachtung

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Publication Date:
04 November 2004 (online)

Die Vergütung der voll- und teilstationären Krankenhausleistungen wird mit der Einführung des DRG-Fallpauschalensystems neu ausgerichtet. Statt einer größtenteils auf tagesgleichen Pflegesätzen beruhenden Vergütung wird auf ein weitgehend auf Fallpauschalen und ergänzenden Entgeltkomponenten beruhendes System umgestellt. Mit diesem Systemwechsel unterliegt die Krankenhausbehandlung - ökonomisch betrachtet - auch veränderten monetären Anreizen: Statt der Verlängerung der Krankenhausverweildauer über das medizinisch notwendige Maß wirken nun nachhaltige Anreize in Richtung auf eine Verkürzung und für eine Erlössteigerung durch die gezielte Aufteilung von bisher in einem Aufenthalt durchgeführten Behandlungen auf zwei oder mehrere, gesondert abrechenbare Aufenthalte (so genanntes Fallsplitting). Die durch den Gesetz- und Verordnungsgeber entwickelten Rahmenbedingungen zielen darauf ab, solchen möglichen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegen zu wirken.

Im Hinblick auf mögliche Komplikationen sollen zu frühe Entlassungen der Patienten vermieden werden, zumindest sollen keine finanziellen Anreize in diese Richtung gegeben werden (siehe Begründung zu § 8 Abs. 5 des Krankenhausentgeltgesetzes). Komplikationen schlagen sich durch die Berücksichtigung bei der DRG-Einstufung grundsätzlich auch bei der Entgelthöhe nieder. Krankenhäuser bei denen durch übermäßig gestraffte Behandlungsabläufe Komplikationen erst unmittelbar nach der Entlassung auftreten, sollen nicht bevorzugt werden. Die Frage, ob eine Komplikation vorliegt oder nicht, war im Jahr 2003 bereits Anlass für zahlreiche Streitfälle und hat zu hohem Bearbeitungsaufwand bei Krankenkassen und Krankenhäusern geführt. Deshalb wurde die Wiederaufnahmeregelung nach § 2 der Fallpauschalenverordnung 2004 (KFPV 2004) der Prüfung der Frage vorgeschaltet, ob für eine Wiederaufnahme innerhalb der Kalendertage (!) der oberen Grenzverweildauer eine Komplikation ursächlich war. Es ist davon auszugehen, dass diese zunächst auf das Jahr 2004 begrenzte Lösung grundsätzlich auch für weitere Jahre Bestand hat.

Durch die Wiederaufnahmeregelung soll einem ökonomisch motivierten Fallsplitting wirksam begegnet werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch medizinische Gründe für eine entsprechende Aufsplittung einer Behandlung auf mehrere Krankenhausaufenthalte bestehen können. Behandlungsschemata, die sich unabhängig von der Vergütungssituation etabliert haben und als medizinisch sinnvoll einzustufen sind, wurden daher von der Regelung ausgenommen (z. B. Wiederaufnahmen wegen Bestrahlungszyklen im Bereich der Onkologie). Im geltenden DRG-Katalog 2004 gilt dies für 166 der 824 bundesweit kalkulierten Fallpauschalen. Statt komplizierte, auf Einzelfallgerechtigkeit zielende Detailregelungen zu schaffen wurde eine insgesamt sachgerechte Lösung angestrebt, die jedoch auch möglichst einfach zu administrieren und möglichst wenig streitanfällig sein sollte.

Die Wiederaufnahmeregelung unterscheidet, jeweils gerechnet ab dem Aufnahmedatum des ersten zusammen zu fassenden Aufenthalts, zwischen zwei für die Fallzusammenführung maßgeblichen Fristen: der oberen Grenzverweildauer und einer 30-Kalendertage-Frist (vgl. schematische Darstellung in der Abbildung). Neben der Befristung der Geltung der Wiederaufnahmeregelung müssen zudem bestimmte medizinische Grundkonstellationen erfüllt sein, damit die Regelung zur Anwendung gelangt. Mögliche Grundkonstellationen wurden auf EDV-technisch abprüfbare Schemata beschränkt (z. B. gleiche Basis-DRG oder gleiche MDC). Auf streitanfällige Vorgaben, die auf einen wie auch immer gearteten medizinischen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Aufenthalt abstellen, kann damit verzichtet werden.

Die Abrechnungsvorschrift für Komplikationen wird als nachrangig gegenüber den Wiederaufnahmeregelungen nach § 2 Abs. 1 und 2 KFPV 2004 eingestuft, um die Streitanfälligkeit der Frage, ob Komplikationen für eine Wiederaufnahme ausschlaggebend waren oder nicht, zu vermindern. Die Zusammenfassung von komplikationsbedingten Wiederaufnahmen nach § 2 KFPV 2004 wird technisch identisch behandelt wie andere Wiederaufnahmen. Einziger Unterschied ist, dass bei innerhalb der oberen Grenzverweildauer auftretenden Komplikationen keine Ausnahmeregelungen von der Vorschrift zur Fallzusammenfassung und Neugruppierung bestehen.

Folge der Wiederaufnahmeregelung der KFPV 2004 ist, dass unter Berücksichtigung der Falldaten aller zusammenzufassenden Aufenthalte eine Zusammenfassung zu einem Gesamtfall und eine Neueinstufung im DRG-System durchzuführen ist. Vor dem Hintergrund der Ausgestaltung der Komplikationsregelung (Komplikationen sind bei nach Schweregrad gesplitteten Fallpauschalen erlössteigernd, auch bei innerhalb der oberen Grenzverweildauer erfolgenden Wiederaufnahmen in dasselbe Krankenhaus) sowie wegen der Gefahr von Fehlentwicklungen sollte statt von einer „Erlösminderung“ durch die Komplikationsregelung bzw. die Fallzusammenführung eher von der Verhinderung unberechtigter Erlössteigerungen durch mehrfache Abrechnung von Leistungen gesprochen werden.

Soweit die von Krokotsch gebildeten Beispiele auf der Grundlage der vorliegenden, begrenzten Informationen im DRG-System eingruppierbar sind, führt die Anwendung der vorrangig, also vor der Komplikationsregelung zu prüfenden Wiederaufnahmeregelung zu folgenden Ergebnissen:

Beispiel 1: Fall 1 F63A/B (Venenthrombose ...) Fall 2 I60Z (Frakturen am Femurschaft)

Keine Fallzusammenführung nach der Wiederaufnahmeregelung nach § 2 Abs. 1 oder 2 KFPV 2004. Eine nachgelagerte Prüfung nach § 2 Abs. 3 KFPV 2004, ob eine Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung vorliegt, muss erfolgen.

Beispiel 2: Fall 1 F63A/B (Venenthrombose ...) Fall 2 F63A/B (Venenthrombose ...)

Fallzusammenführung nach der Wiederaufnahmeregelung nach § 2 Abs. 1 KFPV 2004 (wg. gleicher Basis-DRG), somit keine nachgelagerte Prüfung auf Vorliegen einer Komplikation.

Beispiel 3: Fall 1 F63A/B (Venenthrombose ...) Fall 2 Z61Z (Beschwerden und Symptome)

Keine Fallzusammenführung nach der Wiederaufnahmeregelung nach § 2 Abs. 1 oder 2 KFPV 2004, somit nachgelagerte Prüfung auf Vorliegen einer Komplikation.

Beispiel 4: Fall 1 F63A/B (Venenthrombose ...) Fall 2 E61A/B (Lungenembolie ...)

Keine Fallzusammenführung nach der Wiederaufnahmeregelung nach § 2 Abs. 1 oder 2 KFPV 2004, somit nachgelagerte Prüfung auf Vorliegen einer Komplikation.

Abb. 1 Ablaufschema der Wiederaufnahmeregelung nach § 2 KFPV 2004.

Durch die nur noch nachrangig zur Wiederaufnahmeregelung nach § 2 Abs. 1 und 2 KFPV 2004 zu prüfende Komplikationsfrage (§ 2 Abs. 3 KFPV 2004) wird der Umfang möglicher Streitfragen bei einigen Fallkonstellationen deutlich vermindert. Dies wurde insbesondere durch den an der DRG-Systematik orientierten schematischen Aufbau und die weitgehend einheitlichen Rechtsfolgen erreicht. Auch die in der Begründung zu § 2 Abs. 3 KFPV 2004 vorgenommene Klarstellung, dass das Auftreten eines Rezidivs nicht als Komplikation im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist, reduziert die Zahl möglicher Konflikte. Gegenüber der ursprünglichen Gesetzesfassung wurde somit die Anzahl von Streitfragen wegen möglicher Komplikationen sukzessive zurück geführt.

Die von Krokotsch vorgeschlagene Lesart der Komplikationsregelung, die zwischen Komplikationen im Zusammenhang mit einer zuvor von dem selben Krankenhaus durchgeführten Behandlung und Komplikationen der Erkrankung unterscheidet, kann nicht geteilt werden. Zwar zielt die Regelung nur auf Komplikationen im Zusammenhang mit der zuvor durchgeführten Leistung ab. Die vermutete Trennung zwischen Erkrankung und Behandlung ist damit jedoch nicht intendiert. Vielmehr wird im Kontext des leistungsorientierten Entgeltsystems auf einen Zusammenhang zwischen Komplikation und erbrachter Leistung bzw. abgerechneter Fallpauschale abgestellt. Die von Krokotsch vorgeschlagene analytische Trennung dürfte in der Begutachtungspraxis tatsächlich schwierig umsetzbar und mit Graubereichen behaftet sein. Sie würde zudem dem Ziel einer administrativ möglichst einfachen Regelung widersprechen. Vor dem Hintergrund der geänderten Anreizlage bei Einführung eines umfassenden DRG-Fallpauschalensystems kann zudem eine Ausklammerung der konservativen Fächer von der Komplikationsregelung wegen der Gefahr der Fehlentwicklung (Fallsplitting) grundsätzlich nicht zur Diskussion stehen.

Eine weitere Präzisierung des Komplikationsbegriffs wäre selbstverständlich zu begrüßen, um sowohl für Krankenhäuser als auch für Krankenkassen Streitigkeiten zu vermeiden. Angesichts der gesetzgeberischen Zuweisung dieser Aufgabe an die Selbstverwaltungspartner ist der Medizinische Dienst der Krankenversicherung durchaus aufgerufen, seine in der bisherigen Begutachtungspraxis gesammelten Erfahrungen in entsprechend konstruktive Verbesserungsvorschläge für Vereinbarungen und deren praktische Umsetzung einfließen zu lassen.

Ferdinand Rau

Referat 216 „Wirtschaftliche Fragen der Krankenhäuser“, c/o Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung

Am Probsthof 78 a

53121 Bonn

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