Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(45): 2434-2435
DOI: 10.1055/s-2004-835285
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Wiederaufnahmeregelung aufgrund einer Komplikation (KFPV 2004) in der DRG-Begutachtungspraxis

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Publication Date:
04 November 2004 (online)

„Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer … wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung … in eine Fallpauschale vorzunehmen“ (§ 2 Abs. 3 Krankenhausfallpauschalenverordnung (KFPV) 2004). Dies gilt auch für die im DRG-Katalog in Spalte 13 oder 15 gekennzeichneten DRGs (HIV, Onkologie etc.). Eine solche Fallzusammenlegung führt in der Regel zu einer Erlösminderung.

Im klassischen Fallpauschalensystem der operativen Fächer vor der DRG-Einführung existierte bereits eine entsprechende „Komplikationsregelung“. Im DRG-Zeitalter gilt die Wiederaufnahmeregelung gemäß KFPV nun für alle Behandlungen, also auch für konservative Fächer wie die Innere Medizin oder die Neurologie. Während die Begutachtung einer Wiederaufnahme aufgrund einer Komplikation in den operativen Fächern (z. B. Blutung, Perforation, Infektion…) durch die Erfahrung aus dem klassischen Fallpauschalen-System überwiegend unproblematisch ist, wirft vor allem die Begutachtung einer Wiederaufnahme aufgrund einer Komplikation in den konservativen Fächern Fragen auf. Beispiele sollen dies verdeutlichen. Die ersten beiden Beispiele sollen dabei die „Idealtypen“ einer eindeutigen Wiederaufnahmesituation darstellen: Ein Patient wurde aufgrund einer tiefen Beinvenenthrombose aufgenommen und stationär auf Phenprocoumon eingestellt.

Beispiel 1: Die Wiederaufnahme innerhalb der oberen Grenzverweildauer (oGVD) erfolgt aufgrund einer traumatischen Oberschenkelfraktur. Hier liegt eindeutig keine Komplikation der vorangehenden Behandlung vor. Es handelt sich um eine unabhängige „Zweiterkrankung“. Eine Fallzusammenlegung ist nicht durchzuführen.

Beispiel 2: Die Wiederaufnahme innerhalb der oGVD erfolgt aufgrund einer Blutung unter Phenprocoumon. Hier liegt eindeutig eine Wiederaufnahme aufgrund einer Komplikation im Zusammenhang mit der vorangehenden konservativen Behandlung (Neueinstellung auf Phenprocoumon) vor, so dass eine Fallzusammenlegung durchgeführt werden sollte.

Beispiel 3: Die Wiederaufnahme innerhalb der oGVD erfolgt aufgrund einer Unterschenkelschwellung und eines Knöchelödems unter häuslicher Mobilisierung. Hierbei handelt es sich um typische „Komplikationen“ der tiefen Beinvenenthrombose, die auch durch eine optimale Antikoagulation und Kompressionsbehandlung nicht zu verhindern sind. Es handelt sich um eine „Komplikation“ der Erkrankung, aber nicht der Behandlung. Eine Fallzusammenlegung sollte nicht durchgeführt werden.

Beispiel 4: Die Wiederaufnahme innerhalb der oGVD erfolgt aufgrund einer Lungenembolie. Eine Lungenembolie ist eine typische Komplikation einer tiefen Venenthrombose. Ist sie in diesem Fall jedoch auch als Komplikation der vorangehenden Behandlung zu bewerten? Die vorangehende Behandlungsleistung (Einstellung auf Phenprocoumon) sollte schließlich eine Embolie verhindern und hat somit „versagt“. Es wird vorausgesetzt, dass die Antikoagulation ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Unterschiedlich „strenge“ oder „weniger strenge“ Denkweisen und Beurteilungen erscheinen hier möglich. Aus internistischer Sicht wäre eine „weniger strenge“ Beurteilung zu favorisieren, da die Embolie trotz Antikoagulation schicksalhaft auftrat und eine Antikoagulation mit Phenprocoumon keinen 100%igen Schutz bietet. Eine Komplikation der Behandlung läge demnach nicht vor. Möglicherweise wurde eine „strenge“ Denkweise, die dann eher den Charakter einer „Garantieleistung“ trägt, jedoch von den Entwicklern der KFPV angedacht. Dies wäre dann jedoch eine politische und keine medizinisch-nachvollziehbare Entscheidung.

Laut KFPV kommen nur Komplikationen der „vorangehenden Leistung“ (besser: Behandlung) in Betracht. In den operativen Fächern ist hiermit z. B. eine Operation gemeint. Es stellt sich die Frage, wie nach der KFPV eine Behandlungsleistung in den konservativen Fächern zu verstehen ist, wenn man von Endoskopien oder anderen invasiven Maßnahmen absieht. Die Behandlungsleistung in den konservativen Fächern umfasst typischerweise neben der Differentialdiagnostik die medikamentöse und sonstige nicht-operative Therapie. Wiederaufnahmen aufgrund eines Rezidivs sollen nicht zu einer Fallzusammenlegung führen (Einzelbegründung der KFPV zu § 2). Medikamenten-Nebenwirkungen dürften die häufigsten Wiederaufnahmegründe aufgrund einer Komplikation in den konservativen Fächern sein.

Eine Neueinstellung auf Phenprocoumon ist sicher eine Behandlungsleistung, die eine Komplikation (z. B. Blutung) zur Folge haben kann. Doch wie ist es, wenn z. B. eine vorbestehende Antikoagulation mit Phenprocoumon nur weitergeführt wird und es zur Wiederaufnahme aufgrund einer Blutung kommt? Ist die Blutung auch dann eine Komplikation einer Behandlungsleistung? In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass nach den DRG-Kodierrichtlinien die alleinige Medikamentenweitergabe einen Mehraufwand darstellt, der zu einer Kodierung und Fallwertsteigerung berechtigt.

Da laut KFPV nur Komplikationen der vorangehenden Leistung (Behandlung) in Betracht kommen, dürfen Komplikationen der Erkrankung nicht zu einer Fallzusammenlegung führen. Im Vergleich zwischen den operativen und konservativen Fächern fällt auf, dass Wiederaufnahmen aufgrund einer Komplikation der Behandlung in den konservativen Fächern viel seltener sind als in den operativen Fächern. Häufiger handelt es sich in den konservativen Fächern um Komplikationen der Erkrankung selbst. Zwischen einer Komplikation der Behandlung und einer Komplikation der Erkrankung ist ein Graubereich feststellbar (Abb. [1]), der die Begutachtung erschwert. Dieser ist in den konservativen Fächern größer als in den operativen, wo die Unterscheidung zwischen einer Komplikation der Behandlung und der Erkrankung leichter fällt.

Abb. 1 Die Wiederaufnahme aufgrund einer Komplikation (KFPV 2004). Der Vergleich zwischen den konservativen und den operativen Fächern zeigt einen wesentlich größeren „Graubereich“ und häufigere Komplikationen aufgrund der Erkrankung im konservativen Bereich.

Als weiterer Unterschied zwischen den konservativen und operativen Fächern ist feststellbar, dass der weiterbehandelnde niedergelassene Arzt und die Compliance des Patienten in den konservativen Fächern einen größeren Einfluss auf das Behandlungsergebnis haben als in den operativen. Wenn es zur Wiederaufnahme aufgrund einer Blutung unter Phenprocoumon kommt (Beispiel 2), weil der Patient sich nicht an Dosierungsempfehlungen des Krankenhauses hielt oder aber der Hausarzt nicht ausreichend Quick/INR-Kontrollen durchführte, handelt es sich natürlich nicht um eine Komplikation der Krankenhausleistung. Jedoch dürfte auch diese Trennung in der Begutachtungspraxis nicht immer so deutlich möglich sein.

Wünschenswert wäre eine Präzisierung der Wiederaufnahmeregelung, damit insbesondere auch in den konservativen Fächern Streitigkeiten über die Beurteilung von Komplikationen unterbleiben. Beispiele analog zu den Beispielen in den Deutschen Kodierrichtlinien wären schon hilfreich.

Dr. Andreas Krokotsch

Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Hamburg

Hammerbrookstraße 5

20097 Hamburg

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