Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(30): 1641-1643
DOI: 10.1055/s-2004-829007
Medizingeschichte

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Medizin ist meine gesetzliche Ehefrau, die Literatur meine Geliebte

Zum 100. Todesjahr Anton TschechowsMedicine is my lawful wife, literature my mistressTo Anton Tschechow’s 100th anniversary of deathK. Engelhardt
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eingereicht: 23.3.2004

akzeptiert: 22.6.2004

Publication Date:
21 July 2004 (online)

Der Gedenkstein in Badenweiler ist schlicht, seine Inschrift wahr: „Dem gütigen Menschen und Arzt, dem großen Schriftsteller Anton P. Tschechow, geb. 29.01.1860 in Taganrog, gest. 15.07.1904 in Badenweiler.” Im südrussischen Taganrog am Asowschen Meer geboren, wo der Frau und Kinder tyrannisierende Vater einen Kramladen betrieb. Bereits während des Moskauer Medizinstudiums schrieb Anton Pawlowitsch Tschechow Kurzgeschichten, um seine verarmte Familie zu ernähren. Auch als Arzt war er weiter literarisch tätig, aber erst durch einen Brief des damals berühmten Schriftstellers Grigorowitsch wurde dem jungen Autor seine Begabung klar. „Sie besitzen, mein Herr, ein ganz außerordentliches Talent...”. Diese unerwartete Beurteilung erschütterte Tschechow [4]. Lebenslang besaßen für ihn Literatur und Medizin die gleiche hohe Bedeutung: „Die Medizin ist meine gesetzliche Ehefrau, die Literatur meine Geliebte” [15].

1884 trat die erste Lungenblutung auf, die den Beginn seiner Tuberkulose signalisierte, gegen die er, obwohl es kein spezifisches Heilmittel gab, 20 Jahre kämpfte. 4 Jahre später heißt es: „Jeden Winter, Herbst und Frühling und an jedem feuchten Sommertag habe ich Husten. Aber das erschreckt mich nur dann, wenn ich Blut sehe: das Blut, das mir aus dem Mund quillt, hat etwas Unheilverkündendes, wie ein Feuerschein” [15]. Trotz seiner Krankheit blieb Tschechow ein humorvoller und aktiver Mensch, er veranlasste den Bau von Schulen und betreute als Arzt kostenlos Bauern. „Der Moslem”, schrieb er in sein Tagebuch, „gräbt zur Rettung seiner Seele einen Brunnen. Es wäre gut, wenn jeder von uns eine Schule, einen Brunnen oder etwas Ähnliches hinterließe, damit das Leben nicht spurlos vorübergeht” [5]. Manche Zuhörer, sagte er, hätten über seine Theaterstücke geweint, aber rührselig sei er nicht. „Ich wollte ganz was anderes. Ich wollte einfach und ehrlich sagen: schaut euch doch an, - seht doch, wie schlecht und wie langweilig ihr euer Leben führt... Sobald sie das begreifen, müssen sie ein anderes, besseres Leben beginnen” [6].

Seit 1899 wohnte Tschechow wegen der fortschreitenden Krankheit meistens in Jalta an der Südküste der Krim. 1901 heiratete er Olga Knipper, die längste Zeit lebten sie getrennt, er in Jalta, sie als Schauspielerin in Moskau. Im Oktober 1903 schrieb der Schwerkranke seiner Frau: „Dein Mann ist alt geworden, und wenn du dir irgendeinen Anbeter zulegen solltest, so habe ich nicht mehr das Recht, böse darüber zu sein” [18]. Wenige Wochen vor seinem Tod, im Juni 1904, fuhr er mit seiner Frau nach Badenweiler, weil er hoffte, eine Diätkur würde Besserung bringen, aber die Tuberkulose schritt rapid fort. Zuletzt ließ der behandelnde Arzt Champagner bringen. Tschechow „lächelte sein wunderbares Lächeln”, erinnerte sich Olga Knipper, „sagte: >Ich habe so lange keinen Champagner mehr getrunken<, trank das Glas in aller Ruhe aus, legte sich still auf die linke Seite und war bald für immer verstummt” [19].

Abb. 1 Anton Tschechow. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Diogenes Verlags Zürich.

Literatur

  • 1 Engelhardt K. Patienten-zentrierte Medizin und Ethik.  Dtsch med Wochenschr. 2003;  128 1969-1971
  • 2 Fallowfield L, Jenkins V. Communicating sad, bad, and difficult news in medicine.  Lancet. 2004;  363 312-319
  • 3 Mann T. Joseph und seine Brüder. Fischer, Frankfurt a. M 1964: 973
  • 4 Mann T. Versuch über Tschechow. Essays,. Bd. 6, Fischer, Frankfurt a. M hrg. v. H. Kurzke u. S. Stachorski 1997: 254 f
  • 5 Nabokov V. Anton Tschechow. Fischer, Frankfurt a. M In: Die Kunst des Lesens 1991: 327 ff
  • 6 Tichonow A. Erinnerungen an Tschechow.  Der Monat. 1968;  20 53-62
  • 7 Tschechow A. Meine Frau. Erzählungen 1887 - 1892. Winkler, München 1968: 623
  • 8 Tschechow A. Krankenzimmer Nr. 6,. a. a.O 755, 774, 777
  • 9 Tschechow A. Das Duell,. a. a. O 563 f
  • 10 Tschechow A. Eine langweilige Geschichte,. a. a. O 423
  • 11 Tschechow A. Der Bischof. Erzählungen 1893 - 1903,. a. a. O 753, 763, 768
  • 12 Tschechow A. Die Schlucht,. a. a. O 746
  • 13 Tschechow A. Die Insel Sachalin,. a. a. O 369, 375
  • 14 Tschechow A. Späte Blumen. Diogenes, Zürich In: Ein unnötiger Sieg, hrg. v. P. Urban 2000: 313 f
  • 15 Tschechow A. Briefe 1877 - 1889,. Diogenes, Zürich hrg. u. übers. v. P. Urban 1979: 145, 287, 311, 363
  • 16 Tschechow A. Briefe 1889 - 1892,. a. a. O 151, 203
  • 17 Tschechow A. Briefe 1892 - 1897. a. a. O 97, 132f
  • 18 Tschechow A. Briefe 1901 - 1904,. a. a. O 182, 259, 268
  • 19 Wolffheim E. Anton Tschechow. Rowolt, Reinbeck 1982: 42f, 135

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel

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