Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(9): 423
DOI: 10.1055/s-2004-820060
Editorial

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Myokardregeneration nach Herzinfarkt - die Spekulation geht weiter

Stem cell induced myocardial regeneration after myocardial infarction - a continuous speculationE. Erdmann1
  • 1Klinik III für Innere Medizin (Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin), Universität zu Köln
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Publication Date:
17 February 2004 (online)

Prof. Dr. E. Erdmann, Köln

Im Jahr 2001 erschien erstmals eine Arbeit über die intrakoronare, humane autologe Stammzelltransplantation zur Myokardregeneration nach Herzinfarkt als Kasuistik, übrigens in der DMW [1]. Seither häufen sich die Berichte über dieses therapeutische Prinzip in allen wissenschaftlichen Zeitschriften. Beim letzten Kongress der American Heart Association im November 2003 zählte ich 28 Mitteilungen über Stammzelltransplantationen bei Z. n. Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz. Kuethe und Mitarbeiter [2] legen jetzt die Ergebnisse ihrer Untersuchung vor, in der sie Granulozyten-Kolonie stimulierenden Faktor (G-CSF) bei 5 Patienten nach Herzinfarkt gegeben haben. Sie vertreten die Hypothese, dass die Mobilisierung von Stammzellen aus dem Knochenmark durch G-CSF dazu führt, dass sich Stammzellen im geschädigten Myokard anreichern und dort Regeneration und Neovaskularisation bewirken. Ein interessantes Therapieprinzip, vielleicht die Behandlung des Myokardinfarktes der Zukunft? Ich bin sehr skeptisch!

Die klinische Medizin beruht zum größten Teil auf Erfahrungswissen. Der Fortschritt der wissenschaftlich begründeten Medizin der letzten Jahre hängt damit zusammen, dass sich die „Scientific Community” gute Regeln gegeben hat, die Glauben und Wissen, Hypothese und Tatsachen voneinander unterscheiden. Neue therapeutische Interventionen werden dementsprechend heutzutage nur dann allgemein akzeptiert und angewendet, wenn sie in randomisierten prospektiven und möglichst auch noch doppelblinden Untersuchungen durchgeführt bzw. überprüft wurden. Natürlich ist die Hypothese verführerisch einfach, Stammzellen in geschädigtes Myokard zu verbringen und auf die Umwandlung in sich kontrahierende Myozyten zu hoffen. Andererseits haben tierexperimentelle Untersuchungen leider gezeigt, dass Knochenmarkzellen nach Implantation in das Rattenherz nach Myokardinfarkt schon nach 5 Tagen bis auf magere 1,4 bzw. 3,8 % verschwunden sind und dass nach 3 Wochen weniger als 0,2 % der Zellen noch vital sind [3]. Auch wissen wir, dass die frühzeitige Rekanalisation des verschlossenen Infarktgefäßes allein schon eine Wiederherstellung der myokardialen Kontraktion zumindest in den Randbereichen des Infarktes und damit eine gewisse Zunahme der Auswurffraktion bewirkt. Sollte man nun alle Versuche, den Myokardinfarkt durch Stammzell-Implantation zu behandeln, gleich in das Reich der Spekulation und der alternativen d. h. ungeprüften Medizin verdammen? Nein, natürlich nicht. Pilotprojekte neuer Behandlungsmöglichkeiten bleiben mitteilungswürdig - auch als Anregung. Der Arzt des 21. Jahrhunderts darf aber von einem Wissenschaftler auch erwarten, dass er die Regeln der „evidence”-basierten Medizin anwendet und dieses neue Therapieprinzip durch prospektive randomisierte und möglichst doppelblinde Untersuchungen verifiziert. Diese Arbeit steht seit 3 Jahren aus! Solange ich eine derartige Untersuchung an einer ausreichend großen Zahl von Patienten mit eindeutigen Resultaten nicht gelesen habe, bleibe ich ein „Ungläubiger” und behandele meine Patienten nach den bisherigen Leitlinien der Fachgesellschaft.

Ob eine neue Methode „gut verträglich” ist, hat nur Bedeutung, wenn sie auch wirksam im Sinne der Symptom- oder Prognoseverbesserung ist. Die Sicherheit der Stammzelltransplantation oder -mobilisierung kann nur in großen prospektiven Untersuchungen mit einer Vielzahl von verschiedenen Patienten geklärt werden. Selbst, wenn nur in einem kleinen Prozentbereich lebensbedrohliche Rhythmusstörungen auftreten - was pathophysiologisch gut vorstellbar ist - könnte das diese experimentelle Therapie bei Patienten, die die gefährlichste Phase des Infarktes ja bereits überstanden haben, schnell zu einem Problem werden lassen. Es hilft alles nichts, wir brauchen eine multizentrische prospektive randomisierte Studie mit dieser Methode, ehe wir den klinischen Wert wirklich beurteilen können. Es gibt ja leider genügend Infarktpatienten.

Literatur

  • 1 Strauer B E. et al . Intrakoronare, humane autologe Stammzelltransplantation zur Myokardregeneration nach Herzinfarkt.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 932-938
  • 2 Kuethe F. et al . Mobilisation von Stammzellen durch den Granulozyten-Kolonie stimulierenden Faktor zur Regeneration myokardialen Gewebes nach Herzinfarkt.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 424-428
  • 3 Müller-Ehmsen J. et al . Survival of mononuclear bone marrow cells and mesenchymal stem cells after grafting into acute rat myocardial infarction - a quantitative taqman pcr analysis.  Circulation. 2003;  108 (Suppl IV) 245

Prof. Dr. med. Erland Erdmann

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