Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(1/2): 45
DOI: 10.1055/s-2004-812660
Leserbriefe

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Schwangerschaftsabbruch - Embryo-Fetozid - drohender Auto-Genozid? - Zuschrift Nr. 1

Zum Beitrag aus DMW 34-35/2003
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Publication Date:
02 January 2004 (online)

Zuschrift Nr. 1: Als Frauenarzt kann ich den Beitrag von A. Fenner [1] nicht unwidersprochen hinnehmen. Widerspruch fordert die wirre Verdrehung von Fakten.

Auch als Nicht-Gynäkologe sollte Prof. Fenner wissen, dass die heute zur Verfügung stehenden Kontrazeptiva nicht ohne Versagerquote sind (methoden- oder anwendungsbedingt) und somit keinen absoluten Schutz vor ungewollten Schwangerschaften bieten. Tatsächlich lehrt die Erfahrung in der Praxis, dass die überwiegende Mehrzahl der Frauen, die sich mit dem Problem einer ungewollten Schwangerschaft an ihre Frauenärztin/ihren Frauenarzt wenden, eigentlich verhütet hat, es aber, aus welchem Grund auch immer, zu einem Versagen der Verhütungsmethode gekommen ist.

Der Abschnitt über die gesetzlichen Grundlagen des Schwangerschaftsabbruchs offenbart eine weitgehende Unkenntnis der Sachlage: Zum einen gibt es die frühere „soziale Indikation“ seit der letzten Novelle des § 218 nicht mehr, zum anderen ist die Behauptung, nach derzeitig geltenden Regeln sei der Schwangerschaftsabbruch unter dieser Indikation „sogar zur jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft“ möglich, erst recht falsch.

Was nun folgt, ist kaum zu fassen: Die Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen werden mit Genoziden aus der Geschichte, gar den Judenmord im Dritten Reich verglichen, die Schwangerschaftsabbrüche für die Probleme unseres Rentensystems und für den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte (aus welcher politische Ecke wird da gesprochen?) verantwortlich gemacht und dann wird auch gleich noch die In-vitro-Fertilisation mit ins Boot dieses wirren Gedankengebäudes genommen.

Schwangerschaftsabbrüche hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben, doch waren die betroffenen Frauen bis vor wenigen Jahrzehnten auf Selbsthilfe oder auf die Hilfe durch so genannte „Engelmacherinnen“ angewiesen. Natürlich wurden keine Statistiken über diese illegalen Abbrüche geführt, so dass nicht zu belegen ist, ob die Zahl der Abbrüche seit der Einführung einer liberaleren Gesetzeslage angestiegen ist. Nun jedenfalls sinkt die Zahl der Abbrüche, was ich ausdrücklich begrüße und was auch A. Fenner nicht bezweifelt.

Zu belegen ist dagegen die Tatsache, dass eine große Zahl der betroffenen Frauen früher durch unsachgemäße Abbrüche ums Leben gekommen sind, und ich bin froh, dass ich (Jahrgang 1966) in meinem bisherigen ärztlichen Berufsleben keine Patientinnen mehr behandeln musste, die mit abgebrochen Stricknadeln oder Korkenziehern im Uterus und mit dem Bild einer Sepsis oder mit schweren, oft tödlichen Embolien nach Seifenaborten in die Klink aufgenommen wurden, wie es noch eine Ärztegeneration vorher meine klinischen Lehrer erlebt haben.

Niemand wird zur Teilnahme an Schwangerschaftsabbrüchen gezwungen und auch nicht, sie gut zu heißen. Derartige Entscheidungen muss jeder für sich selbst fällen und sie sind ohne Diskussion zu respektieren.

Wer sich aber so polemisch wie A. Fenner äußert, sollte bedenken, dass es auch zur ärztliche Ethik gehört, Frauen in Not nicht allein zu lassen, indem man sich hinter einer uralten Eidesformel verschanzt. Die Zeit, in der es sich die Ärzte angemaßt haben, über die Patienten hinweg zu entscheiden, was richtig und für sie gut ist und was nicht, ist zum Glück vorbei.

Ich jedenfalls fühle mich als Arzt in ersten Linie meinen Patientinnen und ihren Nöten verpflichtet und bin froh, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, die es mir auch rechtlich erlaubt, diesen Patientinnen zu sagen, dass ich sie nicht im Stich lasse, egal ob sie sich für oder gegen die Schwangerschaft entscheiden.

Literatur

  • 1 Fenner A. Schwangerschaftsaftsabbruch - Embryo-Fetozid - drohender Auto-Genozid?.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 1788-1791

Dr. med. J. Hofmann

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