Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(51/52): 2719
DOI: 10.1055/s-2003-812545
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Medizinisches Publizieren
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Typisch deutsch?

Über die Wahrnehmung deutscher Publikationen im eigenen LandTypically German? On the awareness of German publications within Germany itselfM. Middeke1
  • 1Chefredaktion DMW
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Publication Date:
17 December 2003 (online)

Die Berichterstattung überregionaler Tageszeitungen über Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Beiträge, die in deutscher Sprache veröffentlicht werden, ruft gelegentlich Verwunderung hervor. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen.

Erster Fall: In der Weihnachtsausgabe der DMW vom 20. Dezember 2002 berichteten die Autoren Weber, Spring und Czarnetzki über einen 32500 Jahre alten menschlichen Schädel (Fundort Stetten in Baden-Württemberg), an dem sich aus heutiger Sicht ein Meningeom diagnostizieren ließ [14]. Diese ausführliche Publikation fand nicht den Gefallen von Frankfurter Allgemeiner (FAZ) und Süddeutscher Zeitung (SZ). Hingegen wurde ein kurzer Bericht („letter”) der gleichen Autoren 8 Monate später im englischsprachigen Lancet [5] in der FAZ vom 13. August [7] und der SZ vom 19. August [4] besprochen. Der Fall im Lancet bezog sich allerdings auf einen mit 365000 Jahren ca. 11-mal so alten Schädel - vielleicht ein Hinweis darauf, dass Köpfe in großen Zeitschriften erst ab einem gewissen Schwellenalter reizvoll werden.

Der zweite Fall spielt in der Neuzeit und betrifft die Berichterstattung über die erstmalige Therapie eines Herzinfarktpatienten mit adulten Stammzellen. Diese weltweit erste Beschreibung der Autoren Strauer et al. (Düsseldorf) in der DMW im Jahr 2001 [12] rief großes mediales Echo in Deutschland hervor - bis hinein in die Tagesschau. Die Berichterstattung von FAZ, SZ und Spiegel war aber eher skeptisch [3] [6] [9]. Das war auch z. T. berechtigt, denn eine Schwalbe macht ja bekanntlich noch keinen Sommer, und wer kann schon genau sagen, was Stammzellen in freier Blutbahn wirklich tun. Natürlich war damals schon klar, dass nach der kasuistischen Erstbeschreibung der Methode bald weitere Erfahrungen mit der Stammzelltherapie publiziert werden würden. Tatsächlich veröffentlichten Strauer und Mitarbeiter 2002 in der amerikanischen Zeitschrift Circulation ihre Ergebnisse bei 10 Patienten [13]. Andere Arbeitsgruppen berichteten im Lancet und anderen internationalen Zeitschriften nun über ähnliche Ergebnisse. Dabei wurde die Erstbeschreibung aus der DMW 2001 häufig zitiert. Bemerkenswert ist, dass zwei andere deutsche Forschergruppen, die über ihre Stammzellergebnisse in Circulation und Lancet berichteten, die DMW Arbeit von Strauer nicht zitieren [2] [11]. Die Berichterstattung in großen Tageszeitungen von Ende 2002 und Anfang 2003 über die Publikationen aus Circulation, Lancet u. a. war nun von großem Respekt und Hoffnung geprägt [10]. Bei dieser ausführlichen Berichterstattung wurde die Erstbeschreibung aus der DMW jetzt aber nicht mehr erwähnt. Und die ZEIT beschreibt am 18. September 2003 den „DMW Fall” aus Düsseldorf in einem insgesamt sehr interessanten Bericht relativ ausführlich, ebenfalls ohne Hinweis auf die DMW Publikation [1]. Überhaupt ist die Angabe der Quelle nicht immer einfach: Aus CardioNews, der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, erfahren wir schließlich am 28.11.2003, dass die Erstveröffentlichung des Düsseldorfer Falles in der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post” erfolgt sei [8]. Da kann man nur sagen: Helau!

Typisch deutsch erscheint die mangelnde Wertschätzung der eigenen Publikationsorgane. Das betrifft nicht nur überregionale Tageszeitungen und Magazine, sondern leider auch Teile der deutschen Hochschulszene. Oft wird darauf verwiesen, dass deutschsprachige Zeitschriften international nur einen untergeordneten Rang haben. Gleichzeitig wird von manchen Hochschulmedizinern aus diesem Grunde auch abgeraten, in deutsch zu publizieren. Umso erfreulicher sind da die erfolgreichen Bemühungen unserer Schriftleiter, Herausgeber und Gutachter, die Qualität der DMW gemeinsam mit den Autoren, der Redaktion und dem Verlag ständig zu verbessern.

Sitzen wir nicht tatsächlich alle im selben Boot und sollten wir uns nicht gegenseitig respektieren und unterstützen und alle medialen Möglichkeiten nutzen? Besser als Wehklagen über mangelnde Qualität der klinischen Forschung in Deutschland und der deutschen Publikationsorgane ist das allemal.

Literatur

  • 1 Albrecht H. Die magische Stammzellen Show.  DIE ZEIT. 2003;  39 37
  • 2 Assmus B, Schächinger V, Teupe C. et al . Transplantation of Progenitor Cells and Regeneration Enhancement in Acute Myocardial Infarction.  Circulation. 2002;  106 3009-3017
  • 3 Blech J, von Bredow R. Wundersames Wachstum.  Der Spiegel. 2001;  36 216-219
  • 4 Brendler M. Versteinerter Tumor.  SZ. 2003;  189 17
  • 5 Czarnetzki A, Schwaderer E, Pusch C M. Fossil record of meningeoma (letter).  Lancet. 2003;  362 408
  • 6 Gallmeier W M. Knochenmark gegen Herzinfarkt?.  FAZ. 2001; 
  • 7 GP Steinheimer mit Schädeltumor.  FAZ. 2003;  186 32
  • 8 Klawki R. Stammzelltherapie:„germany is the lead”.  CardioNews. 2003;  11 1
  • 9 Koch K. Wer heilt, hat Recht - oder auch nicht.  SZ. 2001;  203 V2-7
  • 10 Koch K. Stammzellen fürs Herz.  SZ. 2003;  10 16
  • 11 Stamm C h, Westphal B, Kleine H D. et al . Autologous bone marrow stem-cell transplantation for myocardial regeneration (Research letter).  Lancet. 2003;  361 45-46
  • 12 Strauer B E, Brehm M, Zeus T, Gattermann N, Hernandez A, Sorg R V, Kögler G, Wernet P. Intrakoronare, humane autologe Stammzelltransplantation zur Myokardregeneration nach Herzinfarkt.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 932-938
  • 13 Strauer B E, Brehm M, Zeus T. et al . Repair of Infarcted Myocardium by Autologous Intracoronary Mononuclear Bone Marrow Cell Transplantation in Humans.  Circulation. 2002;  106 1913-1918
  • 14 Weber J, Spring A, Czarnetzki A. Parasagittales Meningeom bei einem 32500 Jahre alten Schädel aus dem Südwesten von Deutschland. Neue Erkenntnisse über den Umgang mit Krankheiten in der Altsteinzeit.  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 2757-2760
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