Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(18): 999-1002
DOI: 10.1055/s-2003-38952
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Tiefe Beinvenenthrombose - Therapie

Deep venous thrombosis - treatmentR. Fries1 , M. Böhm1
  • 1Medizinische Klinik und Poliklinik, Innere Medizin III (Kardiologie/Angiologie), Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar
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Publication History

eingereicht: 28.2.2003

akzeptiert: 11.4.2003

Publication Date:
30 April 2003 (online)

Therapieziele

Die Therapie der tiefen Beinvenenthrombose (TVT) zielt in verschiedene Richtungen. Es gilt einerseits die lokale Beschwerdesymptomatik des Patienten zu verbessern, das heißt für ein Abschwellen der betroffenen Extremität zu sorgen und eine schmerzfreie Beweglichkeit wiederherzustellen. Andererseits soll eine potenziell vitale Gefährdung des Patienten durch Eintreten einer Lungenembolie akut und in der Folgezeit verhindert werden. Darüber hinaus soll durch eine möglichst gute Wiederherstellung der Venenfunktion, im Idealfall Rekanalisation mit Erhalt der Klappenfunktion, die Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms und seiner Folgekomplikationen verhindert werden.

Erstmaßnahmen

Nach Sicherung der Diagnose einer TVT sollte umgehend eine effektive Antikoagulation eingeleitet werden. Hierfür kommt die intravenöse Bolusgabe von unfraktioniertem Heparin mit anschließender Dauerinfusion oder die zweimal tägliche subkutane Gabe eines gewichtsadaptierten Bolus eines niedermolekularen Heparins in Frage. Nach intravenöser Bolusinjektion von unfraktioniertem Heparin (üblicherweise 5000 IE) tritt die Wirkung sofort ein. Die anschließende Dauerinfusion mit dem Ziel einer PTT-Verlängerung auf das 1,5-2,5-Fache der Norm erweist sich jedoch in der Praxis als nur schwer steuerbar. Selbst unter Studienbedingungen wird der therapeutische Bereich häufig nicht dauerhaft erreicht. Besser praktikabel ist die Behandlung mit niedermolekularem Heparin subkutan. Der verzögerte Wirkeintritt nach Gabe der ersten Dosis (Erreichen des therapeutischen Bereiches ca. 2-3 Stunden nach Injektion) stellt in der Praxis kein Problem dar. Der Vorteil der Behandlung mit niedermolekularem Heparin liegt in der guten Vorhersagbarkeit des gerinnungshemmenden Effektes, so dass in einem Körpergewichtsbereich zwischen 50 und 100 kg kein Labormonitoring erforderlich ist. Zu bedenken ist jedoch dass niedermolekulare Heparine nahezu ausschließlich renal eliminiert werden. Daher beginnen diese Substanzen bereits bei einem Serumkreatinin von 1,5 mg/dl zu akkumulieren (Anti-Xa-Spiegelkontrollen ratsam) und sollten ab einem Serumkreatinin von 2 mg/dl nicht mehr eingesetzt werden. Sofern verfügbar, stellt die Kreatininclearance einen wesentlich genaueren Parameter zur Abschätzung der verbleibenden Nierenfunktion dar. Hier gilt ein Grenzwert von < 30 ml/min als Schwellenwert. Bei relativer Überdosierung im Rahmen einer Niereninsuffizienz ist insbesondere bei Patienten, die auch mit Thrombozytenaggregationshemmern behandelt werden, mit Blutungskomplikationen zu rechnen. Das Auftreten einer antikörpervermittelten heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) unter der Therapie mit niedermolekularem Heparin ist eine Rarität, wohingegen unter unfraktioniertem Heparin in ca. 3 % mit einer HIT Typ II zu rechnen ist [19]. Auch dieser Umstand spricht für die bevorzugte Anwendung niedermolekularer Heparine. Eine Kontrolle der Thrombozytenwerte vor Beginn einer Therapie mit niedermolekularem Heparin, am ersten Tag nach Therapieeinleitung und zweimal wöchentlich bis zum 21. Tag bei Therapiefortführung wird dennoch empfohlen.

In Tab. [1] sind die derzeit zur Behandlung der TVT in Deutschland zugelassenen Substanzen mit den entsprechenden Dosierungsempfehlungen zusammengefasst.

Tab. 1 Niedermolekulare Heparine zur Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose. Derzeit zugelassen für die Therapie der TVT in Deutschland: Substanz Handelsname Dosierung Enoxaparin Clexane® 2 x 1 mg/kg KG Nadroparin Fraxiparin® 2 x 0,1 ml/kg KG Nadroparin Fraxodi® 1 x 0,1 ml/kg KG Tinzaparin Innohep® 1 x 175 I.E./kg KG Derzeit nicht zugelassen für die Therapie der TVT in Deutschland: Substanz Handelsname Dosierung Certoparin Mono-Embolex® 2 x 8 000 I.E./d Dalteparin Fragmin® 2 x 100 o. 1 x 200 I.E./kg KG Reviparin Clivarin® 2 x 87,5 I.E./kg KG Zielbereich Anti Xa-Spiegel 3-4 Stunden nach Injektion: 0,4 - 0,8 I.E./ml bei zweimal täglicher Gabe, 0,6 - 1,3 I.E./ml bei Einmalgabe kurzgefasst: Die Therapie der tiefen Beinvenenthrombose soll einerseits die Akutbeschwerden lindern und andererseits potenziell lebensgefährliche Lungenembolien und ein postthrombotisches Syndrom im Langzeitverlauf verhindern. Die subkutane Gabe eines niedermolekularen Heparins in gewichtsadaptierter Dosierung und die Einstellung auf orale Antikoagulation gilt heute als Standardtherapie.

Effektivität von niedermolekularem und unfraktioniertem Heparin

Die TVT-Therapie mit niedermolekularem Heparin ist der Behandlung mit unfraktioniertem Heparin bezüglich der Endpunkte thromboembolische Komplikationen und Blutungskomplikationen mindestens äquivalent [8] [11] [12] . In einzelnen Studien haben sich die niedermolekularen Heparine sogar als signifikant überlegen erwiesen. In einer phlebographisch kontrollierten Studie konnte überdies gezeigt werden, dass die Thrombusregression unter einer 7-tägigen Therapie mit niedermolekularem Heparin im Vergleich zu unfrak-tioniertem Heparin verbessert ist [4]. Ob die bessere Thrombusregression auch in eine funktionelle Verbesserung im Langzeitverlauf, also in eine geringere Rate postthrombotischer Syndrome mündet, ist bisher nicht bekannt.

Niedermolekulare Heparine können sowohl mit Einmalgabe der körpergewichtsadaptierten Dosis als auch bei Verteilung auf zwei Tagesdosen sicher und effektiv eingesetzt werden [5]. Derzeit kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Einmalgabe mit mehr Blutungskomplikationen einhergeht, was durch den vergleichsweise höheren Wirkgipfel nach Einmalgabe wahrscheinlich erscheint. Bis auf Weiteres sollte bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko die zweimal tägliche Gabe bevorzugt werden.

Literatur

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Priv.-Doz. Dr. med. R. Fries

Medizinische Klinik, Innere Medizin III, Universitätskliniken des Saarlandes

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