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DOI: 10.1055/s-2003-36984
Menschenbilder und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen
Perspektiven theologischer SozialethikImages of man and distributive justice in health careEthical considerations in theological perspectivePublikationsverlauf
eingereicht: 12.12.2002
akzeptiert: 15.1.2003
Publikationsdatum:
30. Januar 2003 (online)

Auch wer nicht der katastrophischen Metapher von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen aufläuft [2], muss sich eingestehen, dass die Mittel nicht nur begrenzt sind - unter irdischen Bedingungen ein allgemeines Phänomen [6] - sondern so knapp, dass nicht mehr alles bezahlt werden kann, was sinnvoll und angemessen ist. Zu diesem Krisensyndrom tragen allgemeine und Gesundheitssystem-spezifische Faktoren bei.
Da die Prognose einer zunehmenden Ressourcenknappheit bedeutet, einzelnen Patienten möglicherweise lebens(-qualitäts-)wichtige Maßnahmen vorzuenthalten, ist es ethisch unzulässig, diese dramatische Knappheit ohne explizite Kriterien verwinden zu wollen [18] [19]. Geschieht dies doch, können auf der makroallokativen, also der gesundheitspolitischen Ebene, Willkür, Profitorientierung und Intransparenz das Regiment übernehmen. Auf der mikroallokativen Ebene, also der unmittelbaren Arzt-Patienten-Beziehung, reagiert man auf die faktische Rationierung, d. h. das Vorenthalten von notwendigen Gesundheitsleistungen, die dem Patienten die Erhaltung oder Wiederherstellung seines alters- und konstitutionsbedingten Gesundheitszustandes in Aussicht stellen, mit der fünffachen-„D-Methode”: denial (Verweigerung), deflection (Umlenken), delay (Hinhalten), dilution (Ausdünnung) und deterrence (Abschreckung) [17]. Um solchen Verschleierungstaktiken politisch effektiv und sozialethisch angemessen entgegenzuarbeiten, gilt es, unter der Voraussetzung, dass solidarische Finanzierungen nicht gänzlich zur Disposition gestellt werden sollen, Rationierungen, wo sie sich ereignen, offen zu legen und damit Kriterien zu benennen, nach denen eine Verteilung der Ressourcen effizient und gerecht ablaufen kann.
kurzgefasst: Es ist sozialethisch unzulässig, die Knappheit der Mittel im Gesundheitswesen zu verschleiern. Eine kriteriengeleitete Diskussion zum Problem ist notwendig.
Literatur
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HD Dr. theol. Peter Dabrock
Juniorprofessor für Sozialethik (Bioethik), Philipps-Universität
Marburg, Fachbereich Evangelische Theologie
Lahntor 3
35037 Marburg
URL: http://www.theologische-bioethik.de