Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(49): 2617
DOI: 10.1055/s-2002-35924
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chronische myeloische Leukämie - Der konkrete Fall

Chronic myeloid leukemia - case reportM. Hentrich1 , O. J. Stoetzer2 , C. Salat2 , G. Ledderose3
  • 1Krankenhaus München-Harlaching, VI. Medizinische Abteilung
  • 2Hämato-Onkologische Schwerpunktpraxis am Rotkreuzplatz, München
  • 3Medizinische Klinik III, Klinikum Großhadern der LMU München
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

eingereicht: 5.9.2002

akzeptiert: 25.10.2002

Publikationsdatum:
05. Dezember 2002 (online)

Anamnese: Ein 29-jähriger Patient hatte sich im Oktober 1994 wegen Müdigkeit und Abgeschlagenheit hausärztlich vorgestellt. Bei der Blutabnahme fiel eine Leukozytose von 435 000/µl und eine Anämie von 10,2 g/dl auf. Die Thrombozytenzahl war leicht, die LDH mit 1105 U/l deutlich erhöht. Das Differentialblutbild zeigte eine Linksverschiebung. Relevante Vorerkrankungen bestanden nicht.

Weitere Untersuchungen: Die körperliche Untersuchung ergab eine Splenomegalie, Lymphknotenvergrößerungen wurden nicht gefunden. In der Knochenmarkhistologie stellte sich eine hyperzelluläre Myelopoese ohne Faservermehrung und ohne Vermehrung von Myeloblasten dar. Der Index der alkalischen Leukozytenphosphatase (Untersuchung aus dem peripheren Blut) war erniedrigt. Sonographisch maß die Milz 15 cm. Die Zytogenetik ergab den Nachweis eines Philadelphia-Chromosoms t(9;22) ohne weitere Aberrationen. Molekularbiologisch wurde ein BCR/ABL-Fusionsgen nachgewiesen. Es handelte sich somit um eine CML in chronischer Phase.

Therapie und Verlauf: Nach 4-wöchiger zytoreduktiver Behandlung mit Hydroxyurea wurde auf die Gabe von Interferon-α 5 Mio IE s. c. tgl. in Kombination mit Ara-C 20 mg s. c. tgl. umgestellt. Allerdings erfolgte wegen erheblicher Nebenwirkungen (Gewichtsverlust, Nachtschweiß, grippale Symptome) nach weiteren 4 Wochen eine erneute Umstellung auf Hydroxyurea (25 mg/kg). Bei guter Verträglichkeit dieser Behandlung normalisierte sich die Leukozytose innerhalb von 2 Monaten.

Die HLA-Typisierung der Familie ergab keinen passenden Knochenmarkspender, allerdings wurde ein HLA-identischer Fremdspender gefunden. 22 Monate nach Diagnosestellung der CML erfolgte nach myeloablativer Konditionierung eine allogene Knochenmarktransplantation (KMT) vom HLA-identischen Fremdspender. Eine während der aplastischen Phase aufgetretene schwere bakterielle Infektion besserte sich unter entsprechender antimikrobieller Behandlung sowie mit Wiederanstieg der Leukozyten. Zum Zeitpunkt des Engraftments (Granulozyten > 500/µl an Tag + 23) entwickelte sich eine Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) von Haut und Leber, die sich unter Therapie mit Steroiden vollständig zurückbildete. Der Patient erreichte eine zytogenetische bzw. molekulare Komplett-Remission. Mit Ausnahme rezidivierender Zoster-Infektionen und einer bakteriellen Pneumonie im März 1997 verliefen die folgenden Jahre ohne wesentliche Auffälligkeiten.

Im Oktober 2000 (gut 4 Jahre nach KMT) wurde im Rahmen einer Kontrolluntersuchung ein molekulares Rezidiv erfasst (BCR/ABL Nachweis in geringer Konzentration). Wegen guten Allgemeinbefindens und unauffälligen Laborwerten erfolgten zunächst weitere Verlaufsbeobachtungen. Im Januar 2002 wurde das BCR/ABL Fusionsgen in hoher Konzentration (FISH: 97 von 100 Interphase-Kernen positiv) und neben dem Philadephia-Chromosom auch eine Aberration von Chromosom 6 nachgewiesen. Angesichts der Leukozytose von 53 000/µl mit Linksverschiebung handelte es sich jetzt um ein therapiebedürftiges hämatologisches Rezidiv (in zweiter chronischer Phase).

Im Februar 2002 wurde im Rahmen einer multizentrischen Studie eine Therapie mit Imatinib 400 mg tgl. p. o. eingeleitet. Hierunter normalisierten sich die Leukozyten innerhalb von 3 Wochen. Mit Ausnahme anfänglichen Schwindels und vorübergehender Übelkeit wurde die Behandlung gut vertragen. Die Leukozyten lagen zuletzt im unteren Normbereich, die Thrombozyten sind mit ca. 90 000/µl vermindert. 5 Monate nach Imitinab-Beginn ist das BCR/ABL-Fusionstranskript nur noch in sehr geringer Menge nachweisbar.

Prognose: Möglicherweise wird durch die Therapie mit Imatinib auch eine molekulare Komplettremission erreicht. Sollte dies nicht gelingen, wäre die Gabe von Spenderlymphozyten („Donor lymphocyte infusion”), die im Regelfall bereits bei Vorliegen eines molekularen Rezidivs zum Einsatz kommen, angezeigt. Hierunter werden bei ca. 70 % der Patienten langfristige Remissionen erzielt.

Dr. med. Oliver J. Stoetzer

Hämato-Onkologische Schwerpunktpraxis am Rotkreuzplatz

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