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DOI: 10.1055/s-2000-9470
Wirksamkeit und Sicherheit von nieder-molekularen Heparinen bei der Thromboseprophylaxe
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Frage: Besteht bei Patienten, die ein niedermolekulares Heparin als Thromboseprophylaxe bekommen, bei Schilddrüsenpunktionen ein erhöhtes Blutungsrisiko?
Die Einführung von unfraktioniertem Heparin zur Thromboseprophylaxe bei stationär behandelten Hochrisikopatienten hat in den letzten zwanzig Jahren zu einem dramatischen Rückgang der thromboembolischen Komplikationen, insbesondere in der Chirurgie, der Orthopädie und bei herzinsuffizienten Patienten, geführt [5]. Seit Ende der 80er Jahre stehen auch niedermolekulare Heparine zur Thromboseprophylaxe zur Verfügung. Sie werden aus dem unfraktionierten Heparin, einem heterogenen Polysaccharidgemisch mit einem Molekulargewicht zwischen 3000 und 30 000, durch enzymatische oder chemische Depolimerisationsprozesse gewonnen und haben ein durchschnittliches Molekulargewicht von ca. 5000.
Niedermolekulare Heparine unterscheiden sich voneinander nicht nur chemisch durch ihre Molekulargewichte, sondern auch biologisch in ihren Anti-Xa-, Anti-Thrombin-Aktivitäten sowie Halbwertszeiten, so dass jedes niedermolekulare Heparin ein individuelles Therapieprofil aufweist [21]. Sie zeichnen sich im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin durch folgende pharmakodynamische und pharmakokinetische Charakteristika aus:
bessere Bioverfügbarkeit durch geringere Bindung an Plasmaproteine und Endothel, höhere Bindungskapazität an dem Faktor Xa, 2- bis 4-fach längere Halbwertszeit, d) dosisunabhängige Clearance.
Diese Eigenschaften machen die Anwendung von niedermolekularen Heparin attraktiv, weil der antikoagulatorische Effekt gut vorhersehbar und eine engmaschige Gerinnungskontrolle, insbesondere in therapeutischen Dosierungen, selten erforderlich ist. Tierexperimentelle Studien haben ferner gezeigt, dass niedermolekulare Heparine seltener als unfraktioniertes Heparin Blutungskomplikationen hervorrufen.
Seit ihrer Einführung wurden zahlreiche große randomisierte klinische Studien zur Überprüfung der Effektivität und Sicherheit von niedermolekularen Heparinen im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin durchgeführt. Es zeigte sich, dass niedermolekulare Heparine zur Prävention von thromboembolischen Komplikationen sowohl in der Allgemein- und Bauchchirurgie als auch in der Hüft- und Kniegelenkersatz-Orthopädie mindestens genau so effektiv wie unfraktioniertes Heparin sind [1] [3] [6] [9] [10] [12] [15] [19]. In diesen Studien wurde mit der Thromboseprophylaxe in der Regel präoperativ begonnen und postoperativ für mindestens 5 Tage fortgeführt. Dennoch waren die peri- und postoperativen Blutungskomplikationen sowohl im lokalen Wundbereich als auch im Operationsgebiet unter Anwendung von niedermolekularen Heparinen zum Teil deutlich geringer als beim Gebrauch von unfraktioniertem Heparin. Vom Nebenwirkungsprofil her gelten niedermolekulare Heparine daher als sicher. Nachfolgende Studien haben gezeigt, dass niedermolekulare Heparine zur Behandlung von venösen Thromboembolien, zum Teil unter ambulanten Bedingungen [2] [13] [17], sowie von instabiler Angina pectoris [4] und akuten thrombotischen Insulten [11] [18] auch effektiv eingesetzt werden können. Hierbei wurden jedoch vermehrt lokale Hauterscheinungen beobachtet, welche auf die gegenüber der Prophylaxe therapeutisch erforderlich höheren Dosen zurückgeführt werden kann. Die Rate an schwerwiegenden systemischen Blutungskomplikationen waren jedoch in den beiden Behandlungsgruppen gleich. Ein wichtiger praktischer Vorteil der niedermolekularen Heparine bei der therapeutischen Heparinisierung besteht darin, dass sie außer bei Nierenfunktionseinschränkung körpergewichtsadaptiert ohne laborchemisches Monitoring subkutan appliziert werden können, während unfraktioniertes Heparin pTT-adaptiert intravenös gegeben werden muss.
Neben den erwähnten systematischen Studien gibt es einzelne Berichte über schwerwiegende Blutungskomplikationen unter Anwendung von niedermolekularen Heparinen in der Anästhesiologie mit lokalen Hämatomen/Blutungen nach spinaler/epiduraler Anästhesie [22]. Die genauen Gründe dafür sind unklar. Hier mögen die besonderen anatomischen Verhältnissen im Wirbelsäule-/Rückenmarkbereich eine Rolle spielen. Zum Teil liegen auch patientenbezogene Risikokonstellationen wie ungünstige antikoagulatorische Komedikation, schwierige Punktionsbedingungen bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen etc. vor. Ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Applikation des niedermolekularen Heparins und des Eingriffes bzw. der Katheterentfernung ist nicht festgestellt worden; dennoch sollte ein solcher Eingriff nicht unmittelbar nach der Heparininjektion durchgeführt werden. Um Komplikationen zu mindern, sollten patientenbezogene Kontraindikationen beachtet sowie ausreichend lange Zeitintervalle nach dem Absetzen anderer blutungsfördernder Medikamente wie ASS oder nicht-steroidalen Antiphlogistika eingehalten werden.
Vergleichbare Berichte für andere kleine diagnostische Eingriffe, zum Beispiel Schilddrüsenpunktion, liegen nicht vor. Blutungskomplikationen im Rahmen einer Feinnadelpunktion der Schilddrüse werden als sehr gering eingeschätzt [8], sodass bei einer sachgerechten Durchführung unter Beachtung der oben erwähnten Vorsorgemaßnahmen im Vergleich zu großen Operationen in der Chirurgie und Orthopädie kein erhöhtes Blutungsrisiko zu befürchten ist.
Vor ca. 10 Jahren wurde eine andere wichtige potentiell lebensbedrohliche Komplikation der regelmäßigen Thromboseprophylaxe mit unfraktioniertem Heparin genau charakterisiert: die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), wobei eine HIT Typ I von einer HIT Typ II unterschieden werden muss [14] [16]. Bei der HIT Typ I handelt es sich um einen harmlosen passageren Thrombozytenabfall (selten bis 100 000/µl), welche bei ca. 5-30 % aller Heparin-behandelten Patienten auftritt. Bei der HIT Typ II handelt es sich um ein immunologisch vermitteltes Geschehen mit dem Nachweis von Antikörpern gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) und der folgenden Klinik:
Thrombozytopenie ab dem 5. Tag der Behandlung, bei Reexposition sofort, Thrombozytenabfall auf/unter 50 % des Ausgangswertes, meist unter 100 000/ul, Verschlimmerung bereits bestehender und/oder Neuauftreten venöser oder insbesondere arterieller Thrombose. Die Inzidenz der HIT Typ II wird bei 0,5-3 % aller Heparin-behandelten Patienten beobachtet und die Letatiltätsrate wird auf 20-30 % geschätzt. Sie kann durch die Anwendung von niedermolekularen Heparinen erheblich gesenkt werden 14.
Nach den vorliegenden Daten besitzen niedermolekulare Heparine mindestens die gleiche klinische Wirksamkeit wie unfraktioniertes Heparin zur Prävention und Therapie von venösen und arteriellen thromboembolischen Ereignissen. Sie können im Gegensatz zu unfraktioniertem Heparin unter ambulanten Bedingungen ohne laborchemisches Monitoring einmal am Tag Körpergewicht-adaptiert subkutan appliziert werden. Das Nebenwirkungsprofil der niedermolekularen Heparine erscheint günstiger als beim unfraktionierten Heparin, weil bei der Thromboseprophylaxe sowohl das Risiko lokaler und systemischer Blutungen als auch die Inzidenz der Heparin-induzierten Thrombozytopenie deutlich niedriger ist. Dennoch ist eine generelle Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen aufgrund des deutlich höheren Preises im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin ökonomisch noch geprüft werden sollte [7].
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PD Dr. H. N. Nguyen
Prof. Dr. Dipl.-Biochem. S. Matern
         Medizinische Klinik III  Universitätsklinikum der RWTH
         
         Pauwelstraße 30
         
         52074 Aachen
         
         eMail: hnguyen@post.klinikum.rwth-aachen.de
         
         
 
     
      
    