Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(49): 1485-1486
DOI: 10.1055/s-2000-9108
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Virtuelle Kolographie - eine Alternative zur Koloskopie?

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die virtuelle Koloskopie wurde 1994 von Vining aus der Taufe gehoben [5] [13]. Die Namensgebung birgt den Konflikt mit der konventionellen Koloskopie; deshalb wurde die Bezeichung »virtuelle Kolographie« vorgeschlagen, die auch wir vorziehen.

Die virtuelle Kolographie [Abb. 1] ist eine Weiterentwicklung der 2-dimensionalen Darstellung des Spiral-CTs und der Kernspintomographie durch die 3-dimensionalen Bilder mithilfe einer speziellen Software. So wird u. a. eine »fly-through«-Betrachtung des Koloninneren ermöglicht, die so eine Koloskopie simuliert; allerdings ergänzen sich die Analyse der einzelnen Schnittbilder und die »fly-through«-Betrachtungsweise in der endgültigen Auswertung. Die Vorbereitung zur virtuellen Kolographie ist identisch der konventionellen Koloskopie, zusätzlich muss eine Distension des Lumens durch Luft oder CO2 und durch Bauch- und Rückenlage eine vollständige Darstellung der Mukosa erreicht werden. Bei Einsatz des Spiral-CTs resultiert eine Strahlenbelastung von ca 4-6 mGy, die etwa der Hälfte der Strahlenbelastung durch einen Kolon-Kontrasteinlauf entspricht. Die Untersuchungszeit beträgt zwischen einer und zwei Minuten, die Bildentstehung und Auswertung führen jedoch zu zusätzlichem Aufwand von 20-40 Minuten.

In der Zwischenzeit sind Daten zur Einsatzfähigkeit der virtuellen Kolographie in der klinischen Forschung veröffentlicht worden. In-vitro- und In-vivo-Studien zeigen eine Spezifität von 71-100 % und eine Sensitivität von 85-90 % für Polypen über 5 mm und eine fast 100 %ige Sensitivität für Karzinome. Für Läsionen unter 5 mm sinken die Testkriterien auf unter 50 % [1] [5] [6] [7] [11]. Diese klinischen Daten sind jedoch in der Regel an einer selektierten Patientengruppe mit hoher Prävalenz von Läsionen im Kolon erhoben worden. Zudem sind die Patientenzahlen selten ausreichend, um für die Übertragung auf Routinebedingungen herangezogen zu werden. Hieraus kann bislang keineswegs geschlossen werden, dass die Methode in einer breiten Anwendung außerhalb von spezialisierten Zentren ähnlich treffsicher sein wird, und dies vor allem bei Patientenkollektiven mit durchschnittlichem Polypenrisiko (10-20 %). Somit sind wir auf Grund der erhobenen Daten derzeit nur in der Lage, die Wertigkeit der virtuellen Kolographie als diagnostische Maßnahme einzuschätzen. Dies macht z. B. Sinn, wenn wegen nicht passierbarer Kolonstenosen eine vollständige endoskopische Untersuchung nicht möglich ist. Jetzt wird jedoch schon die Anwendung der virtuellen Kolographie als diagnostische Routinemethode und als Screeningverfahren für die Entdeckung des kolorektalen Karzinoms und dessen Vorstufen vorgeschlagen und in mehreren Editorials intensiv diskutiert [2] [4] [5] .

Abb. 1 Endoskopische Koloskopie mit Polypektomie vs. virtuelle Kolographie. Quelle: PD Dr. Rösch, Dr. B. Saar, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München.

Unzweifelhaft haben wir Gastroenterologen den Anspruch an eine bestmögliche Früherkennung des kolorektalen Karzinoms zu stellen, um Mortalität und Inzidenz dieses Tumors so effektiv zu senken, wie es für den Haemoccult®-Test gezeigt wurde [10]. Die Anforderungen an ein Screening-Verfahren sind vielfältig: Hohe Spezifität und Sensitivität zumindest für Läsionen über 5 mm ist nur eine wichtige Voraussetzung; die Relevanz kleiner (< 5 mm) und flacher Kolonpolypen ist noch nicht vollständig geklärt. Die derzeitige prinzipielle Unfähigkeit der virtuellen Kolographie, kleine und flache Läsionen zu entdecken sollte jedoch nicht zu der Notwendigkeit führen, die Methode nach einer Anzahl von Jahren wiederholen zu müssen, um dieses Defizit ausgleichen zu können. Kleine Polypen werden im Übrigen auch koloskopisch in 10-20 % übersehen, wie Studien mittels Tandem-Koloskopie zeigen [9]. Intensivierte Ausbildung und Qualitätssicherung im Bereich der konventionellen Koloskopie sowie technische Weiterentwicklungen wie Färbemethoden und hochauflösende Videoendoskope lassen hier in Zukunft jedoch eine Verminderung der »polyp miss rate« erwarten.

Weitere Voraussetzungen für ein geeignetes Screeningverfahren sind schnelle Untersuchungszeit und Patientenfreundlichkeit; eine vergleichende Studie aus Zürich zur Patientenakzeptanz zwischen virtueller Kolographie und konventioneller Koloskopie (z. T. mit Sedierung) zeigte, dass die Patienten die Darmvorbereitung als den unangenehmsten Teil der Prozeduren empfanden, während Kolographie und Koloskopie in etwa gleich rangierten. An einer Möglichkeit, die virtuelle Kolographie durch Stuhlmarkierung (»fecal tagging«) ohne die Notwendigkeit der Darmlavage durchzuführen, wird gearbeitet [14], von einer breiten klinischen Umsetzung ist sie jedoch noch weit entfernt.

So macht die Betrachtung der derzeitigen Realität die Schwachstellen deutlich: Flache Läsionen und solche unter 5 mm Größe werden zumeist übersehen, derzeit ist noch die gleiche Vorbereitung nötig wie für die Koloskopie, weitere Limitationen sind Kosten, Aufwand für Auswertung, Strahlenbelastung bei Verwendung des CT sowie ausschließliche bildgebende Diagnostik, d. h. keine Gewinnung von Histologie, und die Notwendigkeit einer koloskopischen Folgeuntersuchung bei positivem Befund. Auch wenn einige dieser Nachteile in Zukunft mit verbesserter Technik zumindest teilweise ausgeglichen werden können, kann die Methode auch mit Hinblick auf Zukunftsoptionen derzeit noch nicht als Screeningverfahren in Betracht gezogen werden.

Zieht man einen Vergleich auf dem Boden der Kosteneffektivität gegenüber dem Haemoccult®, ist der Kostenabstand so hoch, dass dieser noch lange nicht ersetzt werden kann. Gegenüber der Koloskopie müsste die virtuelle Kolographie ca. ein Drittel einer Koloskopie kosten, wenn von einer Koloskopie-Rate nach virtueller Kolographie von etwa 30 % ausgegangen wird. Dies ist jedoch eine optimistische Schätzung, die sich bei einer Vielzahl zu befürchtender unklarer Befunde (»kontrollbedürftig«) diese in der Massenanwendung noch erhöhen dürfte. In Deutschland würde dies bedeuten, dass eine virtuelle Kolographie zwischen 50 und 100 DM kosten dürfte, um auf Grund dieser Schätzungen im Verbund mit der Koloskopie kosteneffektiv zu sein [12].

Weiterhin stehen Patientenakzeptanz und das generelle Screening-Management zur Diskussion. Wie bereits erwähnt, zeigen in verschiedenen Studien Patienten keine eindeutige Präferenz für die virtuelle Kolographie [3] [8]. In Deutschland nehmen etwa 14 % der Männer und knapp 30 % der Frauen das Screeningangebot mittels Hämoccult an [15]. Ob ein deutlich aufwendigeres Verfahren die Akzeptanz der Patienten signifikant erhöhen wird, ist bei aller technischen Faszination für die mittels virtueller Kolographie gewonnenen »schönen« Bilder nicht sicher. Das Screening-Management ist für die virtuelle Kolographie durch hohen Zeitaufwand, beschränkte Verfügbarkeit und derzeit schwer abschätzbare Zahl von notwendigen Folgekoloskopien eingeschränkt, Argumente, die teilweise natürlich auch für die Koloskopie gelten.

So wird sich die virtuelle Kolographie in großen populationsbasierten Studien zum Screening erst ihren Platz erarbeiten müssen, in denen Daten zur Kosten-Nutzen-Relation eingeschlossen sein müssen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Von klinischer gastroenterologischer Seite wird ein effektives, wenig belastendes und komplikationsarmes Screening-Verfahren auf jeden Fall begrüßt werden, das die Compliance der Patienten zum kolorektalen Karzinom-Screening erhöht. Die virtuelle Kolographie kann durchaus ein solches Verfahren sein. Effektivität und Patientenfreundlichkeit müssen sich jedoch erst im klinischen und Praxisalltag zeigen und bewähren. Im Gegenzug werden Koloskopiker sicher auch akzeptieren, dass bei erfolgreicher Etablierung der virtuellen Kolographie sich der endoskopische Schwerpunkt mehr auf Eingriffe zur Biopsie oder Polypektomie verschieben werden.

Mit der virtuellen Kolographie wird den klinischen Gastroenterologen eine weitere Aufgabe im Management der Kolonerkrankungen zufallen. Wir werden vermehrt zu therapeutischer Endoskopie Anlass finden und uns gemeinsam mit den Radiologen aktiv an der virtuellen Kolographie in der gastroenterologischen Vorfelddiagnostik beteiligen müssen. Um Fehlentwicklungen mit hohen Folgekosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden, kann dies nur in Kooperation zwischen der gerätetechnischen Erfahrung der Radiologen und der organbezogenen Kompetenz der Gastroenterologen geschehen.

Literatur

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  • 5 Chaoui A S, Blake M A, Barish M A, Fenlon H M. Virtual colonoscopy and colorectal cancer screening.  Abdom Imaging. 2000;  25 361-364
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  • 7 Fenlon H M, Nunes D P, Clarke D, Ferrucci J T. Colorectal neoplasm detection unsing virtual colonoscopy: A feasibility study.  Gut. 1998;  43 806-811
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  • 10 Schmiegel W, Adler G, Frühmorgen P, Fölsch U, Graeven U, Layer P, Petrasch S, Porschen R, Pox C, Sauerbruch T, Schmoll H J, Zeitz M. Colorectal carcinoma: Prevention and early detection in an asymptomatic population-prevention in patients at risk - endoscopic diagnosis, therapy and after-care of polyps and carcinomas. German Society of Digestive and Metabolic Diseases/Study Group for Gastrointestinal Oncology.  Z Gastroenterol. 2000;  38 49-75
  • 11 Schoenberger A W, Bauernfeind P, Krestin G P, Debatin J F. Virtual colonoscopy with magnetic resonance imaging: in vitro evaluation of a new concept.  Gastroenterology. 1997;  112 1863-1870
  • 12 Sonnenberg A, Delco F, Bauerfeind P. Is virtual colonoscopy a cost-effective option to screen for colorectal cancer?.  Am J Gastroenterology. 1999;  94 226-227
  • 13 Vining D J, Teigen E L, Stelts D. et al . Experience with virtual colonoscopy in 20 Patients.  Radiology. 1995;  197 514
  • 14 Weishaupt D, Patak M A, Froehlich J, Ruehm S G, Debatin J F. Faecal tagging to avoid colonic cleansing before MRI colonography.  Lancet. 1999;  354 835
  • 15 Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der BRD .Modellprojekt Früherkennung des Kolorektalen Karzinoms. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1999

Dr. Berndt Birkner

Gastroenterologische Schwerpunktpraxis

Einsteinstraße 1

81675 München

Email: BBirkner@t-online.de

PD Dr. T. Rösch

Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum rechts der Isar

Ismaninger Straße 22

81675 München

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