Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(31/32): 923
DOI: 10.1055/s-2000-5905
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ein traditioneller bäuerlicher Lebensstil - Schutzfaktor vor Allergien?

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Neue medizinische Erkenntnisse beruhten oft auf der einfachen Beobachtung von Patienten oder Populationen. So konnte John Snow im London des 19. Jahrhunderts die epidemischen Anstiege der Mortalität in bestimmten Arealen der Stadt durch genaue Beobachtung der Wasserversorgung auf verseuchtes Trinkwasser zurückführen, bevor der Erreger der Cholera überhaupt entdeckt worden war. Erhebliche präventive Ansätze liessen sich damals daher ableiten, dass das Wasser der Themse nur noch stromaufwärts der Stadt gewonnen wurde.

Unsere Urahnen der Allergologie haben ebenfalls ihre Umgebung genau beobachtet und ihnen ist bereits im 19. Jahrhundert aufgefallen, dass diejenigen Personen, die am häufigsten mit Heu und folglich mit Pollen zu tun haben, nicht an Heuschnupfen erkranken. Diese Berichte sind anekdotisch geblieben bis vor einigen Jahren als wissenschaftlich fundiertere epidemiologische Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt wurden. Dr. Gassner-Bachmann, dessen Beitrag zur Allergiehäufigkeit bei Bauernkindern in dieser Ausgabe publiziert wird, war dabei einer der ersten, der auf Grund seiner eigenen Beobachtungen auf dieses Phänomen aufmerksam machte. Auf Grund seiner Anregungen sind weitere Studien (SCARPOL in der Schweiz und auch die Bayerischen und Österreichischen Studien) unternommen worden.

Die Resultate dieser und anderer finnischer Studien legen den Schluss nahe, dass ein traditioneller Lebensstil, wie er bei Bauernfamilien noch existiert, mit einem geringeren Risiko der Entwicklung allergischer Krankheiten im Kindesalter einhergeht. Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, im Vergleich zu Kindern, die im selben Dorf aber nicht auf dem Bauernhof aufwachsen, weisen eine wesentlich geringere Prävalenz von Heuschnupfen, Asthma bronchiale und atopischer Sensibilisierung auf. Interessanterweise ist die Prävalenz der atopischen Dermatitis bei Bauernkindern jedoch nicht reduziert. In der Schweizer Studie (SCARPOL) an 6-15 Jahre alten Schulkindern war das Risiko, einen Heuschnupfen zu entwickeln oder einen positiven Allergietest mittels RAST-Untersuchung im Serum aufzuweisen, auf etwa ein Drittel reduziert ([1]). In der Bayerischen Schuleingangsuntersuchung in Niederbayern und der Oberpfalz betrug die Heuschnupfenprävalenz bei Bauernkindern 1,8 %, wohingegen bei den anderen Dorfkindern 4,9 % der Kinder einen Heuschnupfen aufwiesen ([2]). Schließlich sind auch ähnliche Zahlen an Schulkindern im Alter von 8-10 Jahren im Salzburger Land ([3]) sowie in Finnland ([4]) und Kanada ([5]) erhoben worden.

Lebensbedingungen auf einem Bauernhof unterscheiden sich von denen anderer Familien in vielerlei Hinsicht, wie Dr. Gassner-Bachmann in seinem Beitrag eindringlich beleuchtet. Bauernfamilien sind im Schnitt größer, es gibt mehr Kinder und Erwachsene. Sie halten häufiger Katzen und Hunde, diese leben aber in der Regel draußen und haben keinen Zugang zum Bett der Kinder. In Bauernhäusern wird noch häufiger mit Holz und Kohle geheizt und die Mütter rauchen im Schnitt seltener. Natürlich ist der Kontakt zu Stalltieren und damit der Konsum frischer Milch häufiger als bei anderen Kindern.

Die frühe Exposition des Immunsystems gegenüber einer Vielzahl von Keimen in der Luft und Nahrung könnte das Immunsystem dergestalt aktivieren, dass die Entwicklung von so genannten T2-Helferzellen, die für die Allergieentwicklung von wesentlicher Bedeutung sind, unterdrückt werden. Dies sind derzeit jedoch nur Hypothesen, die weiterer wissenschaftlicher Prüfung bedürfen. Jedoch könnten die Bauernfamilien uns lehren, welche protektiven Faktoren wir im Laufe der letzten Jahrzehnte, in welchen die Allergien so deutlich zugenommen haben, verloren haben. In diesem Kontext erscheint besonders interessant, dass Dr. Gassner-Bachmann in seinem Beitrag auch deutlich macht, dass die Zunahme der Allergien, die er in seinem zwar kleinen Kollektiv aber doch mit objektiven Parametern dokumentiert, nur bei den Nicht-Bauernkindern stattfindet.

Literatur

  • 1 Braun-Fahrländer C h, Gassner M, Grize L, Neu U, Sennhauser F H, Varonier H S, Vuille J C, Wüthrich B. et al . And the SCARPOL team. Prevalence of hay fever and allergic sensitization in farmers’s children and their peers living in the same rural community.  Clin Exp Allergy. 1999;  29 28-34
  • 2 Ehrenstein von O, von Mutius E, Illi S, Baumann L, Böhm O, von Kries R. Reduced risk of hay fever and asthma among children of farmers.  Clin Exp Allergy. 2000;  30 187-93
  • 3 Riedler J, Eder W, Oberfeld G, Schreuer M. Austrian children living on a farm have less hay fever, asthma and allergic sensitisation.  Clin Exp Allergy. 2000;  30 194-200
  • 4 Kilpelainen M, Terho E O, helenius H, Koskenvuo M. Farm environment in childhood prevents the development of allergies.  Clin Exp Allergy. 2000;  30 201-208
  • 5 Ernst P, Poulin M, Blouin M, Cornier Y. Indicators of asthma and atopy are less common among children living on a farm.  Am J Respir Crit Care Med. 1999;  159 A774

Privatdozentin Dr. Erika von Mutius

Dr. von Haunersche Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität

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