Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(07): 453-458
DOI: 10.1055/s-0044-102192
Klinischer Fortschritt
Endokrinologie und Diabetologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schilddrüsenkarzinom – ist weniger (Therapie) mehr?

Differentiated thyroid cancer – is less (therapy) more?
Andrei Todica
1   Interdisziplinäres Schilddrüsenzentrum – Klinikum der Universität München (ISKUM), Comprehensive Cancer Center CCC der LMU München, Comprehensive Cancer Center München
2   Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Klinikum der Universität München, LMU München
,
Roland Ladurner
1   Interdisziplinäres Schilddrüsenzentrum – Klinikum der Universität München (ISKUM), Comprehensive Cancer Center CCC der LMU München, Comprehensive Cancer Center München
3   Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie, Klinikum der Universität München, LMU München
,
Christine Spitzweg
1   Interdisziplinäres Schilddrüsenzentrum – Klinikum der Universität München (ISKUM), Comprehensive Cancer Center CCC der LMU München, Comprehensive Cancer Center München
4   Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Klinikum der Universität München, LMU München
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Publication Date:
03 April 2018 (online)

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Was ist neu?

„Active Surveillance“ beim papillären Mikrokarzinom (PTMC) Entgegen früherer Empfehlungen wird in aktuellen Leitlinien eine weitere Abklärung von Schilddrüsenknoten mittels Feinnadelpunktion nicht mehr bei Knoten < 1 cm empfohlen, um eine Überdiagnostik der häufigen und sich meist indolent verhaltenden PTMC zu vermeiden. Daten aus prospektiven Untersuchungen aus Japan und den USA belegen außerdem, dass bei sorgfältig selektierten Patienten mit PTMC ein „Active Surveillance“-Ansatz in Erwägung gezogen werden kann, bei dem die chirurgische Therapie mit kurativem Ansatz erst dann erfolgt, wenn sich ein signifikanter Progress zeigt.

Anpassung der Therapie mit individualisierter Risikostratifizierung Unter Verwendung verschiedener von internationalen Fachgesellschaften vorgeschlagener Risikostratifizierungssysteme werden international eingeschränkt radikale chirurgische Therapieverfahren und ein restriktiverer Einsatz der Radiojodtherapie bei Patienten mit Niedrig-Risiko-DTC empfohlen sowie eine risikoadaptierte Individualisierung der Schilddrüsenhormonsubstitutionsdosis. Ein weiteres international mittlerweile breit akzeptiertes Werkzeug zur Risikostratifizierung der Therapie beim DTC ist die dynamische Risikoanpassung nach R. Michael Tuttle, die eine Neueinschätzung des Risikos im Verlauf auf dem Boden des therapeutischen Ansprechens erlaubt. Unter Berücksichtigung der internationalen Leitlinien werden auch in Deutschland derzeit aktuelle interdisziplinäre evidenzbasierte Leitlinien für die Diagnostik und Therapie von DTC erstellt.

Systemische Therapie beim Radiojod-refraktären DTC Angesichts der Nebenwirkungsprofile der molekular gezielten Therapien wird auch nach der Zulassung von Sorafenib und Lenvatinib bei begrenzter Tumorlast, asymptomatischer Erkrankung und stabilem Krankheitsverlauf neben der Ausschöpfung anderer nebenwirkungsärmerer palliativer Therapieverfahren primär eine „Watch-and-Wait“-Strategie empfohlen. Molekular gezielte Therapien werden erst dann in Erwägung gezogen, wenn ein signifikanter Progress bei hoher Tumorlast vorliegt und eine Watch-and-Wait-Strategie nicht mehr sinnvoll ist.