Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(11): 777-778
DOI: 10.1055/s-0043-100842
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Orphan Diseases: Verbesserte Patientenversorgung auf den Weg gebracht

Orphan diseases – on the way to better patient care
Claus F. Vogelmeier
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Publikationsdatum:
31. Mai 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

Eine Reihe der in diesem Heft behandelten Krankheitsbilder gehört zu den seltenen Erkrankungen oder „orphan diseases“. Eine Erkrankung gilt in der Europäischen Union (EU) als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen von ihr betroffen sind. Ca. 7000 bis 8000 der rund 30 000 bekannten Krankheiten werden als selten eingestuft.

2009 hat die Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie der Leibniz Universität Hannover eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit mit dem Titel „Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland“ publiziert [1]. Die Untersuchung kommt u. a. zu den Schlussfolgerungen, dass

  • die Bedeutung von seltenen Erkrankungen als erheblich eingeschätzt, die Aufmerksamkeit für die Behandlung von seltenen Erkrankungen insgesamt als zu gering bewertet wird;

  • über viele seltene Erkrankungen nur wenige Informationen verfügbar und die vorhandenen Informationsmöglichkeiten vielen Personen unbekannt sind;

  • Patienten mit seltenen Erkrankungen eine umfassende und spezialisierte Versorgung benötigen, z. B. in Form von Shared-Care-Modellen und/oder Implementierung von Spezialambulanzen und/oder Referenzzentren mit dem Ziel, die Diagnostik und Therapie der Erkrankungen zu verbessern;

  • bei vielen seltenen Erkrankungen gesicherte Diagnoseverfahren und Kenntnisse über die Erkrankung fehlen mit der Konsequenz, dass bei vielen Patienten erst spät die Diagnose gestellt wird;

  • bei vielen seltenen Erkrankungen eine adäquate medikamentöse Behandlung fehlt und

  • bei der unzureichenden Evidenzlage der Forschung für die zukünftige Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen eine herausragende Bedeutung zukommt.

Diese Analyse führt zu dem Schluss, dass Verbesserungen in einer Reihe von Bereichen notwendig sind, um die Situation von Patienten mit seltenen Erkrankungen zum Guten zu wenden. Vieles wurde inzwischen auf den Weg gebracht: So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen Förderschwerpunkt für seltene Erkrankungen [2] ausgeschrieben, um Forschungsverbünde zu entwickeln mit dem Ziel, „einen optimalen Informationsfluss von der Forschung in die Versorgung und zurück zu gewährleisten und damit die Voraussetzungen für eine kompetente Patientenversorgung zu schaffen“ [2]. Auch werden im Rahmen des europäischen Netzwerks „E-RARE“ Mittel für transnationale Forschungskonsortien im Bereich seltener Erkrankungen bereitgestellt. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission ein Programm für die Verbesserung der Medikation für seltene Erkrankungen ins Leben gerufen. Dieses Programm beinhaltet u. a. erleichterte Zulassungsverfahren inklusive einer Unterstützung zur Entwicklung von Studienprotokollen und ein 10 Jahre gültiges Exklusivrecht nach Markteinführung [3]. Über diese Initiative sind bislang (Stand März 2017) 130 Medikamente für die Behandlung von seltenen Erkrankungen in der EU zugelassen worden, 1454 weitere befinden sich in Entwicklung. Daneben wurden in Deutschland Zentren für seltene Krankheiten gegründet. 2009 eröffnete das erste Zentrum dieser Art in Freiburg. Im Februar 2017 sind 28 Zentren aktiv, die auf der Website von Orphanet aufgefunden werden können [4]. Diese Zentren wiederum nutzen für die Diagnosestellung speziell entwickelte internetbasierte Suchmaschinen. Dazu gehören FindZebra und Phenomizer, die an der Charité entwickelt wurden und insbesondere auf genetisch bedingte Erkrankungen ausgerichtet sind [5] [6]. Schließlich wird der Bedeutung von seltenen Erkrankungen auch durch die Zeitschrift "Der Internist" Rechnung getragen. Es wurde die Rubrik „seltene Erkrankungen“ eingeführt, die demnächst ihre Premiere erleben und von Prof. J. Schäfer verantwortet wird, der das Zentrum für unerkannte Krankheiten (ZUK) in Marburg leitet.

Durch alle diese Entwicklungen kann und wird letztendlich sichergestellt werden, dass das folgende Voltaire zugeschriebene Zitat nichts mehr mit der Versorgungsrealität von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu tun hat: „Die Rolle des Arztes ist es den Patienten zu unterhalten, während die Natur ihren Lauf nimmt.“

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Prof. Dr. med. Claus F. Vogelmeier