Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(13): 926
DOI: 10.1055/s-0042-106364
Dossier
Nachsorge nach Organtransplantation
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transplantationsmedizin in der Krise?: Schrittmacher für Innovationen

Pacemaker for innovations
Hartmut Schmidt
1   Klinik für Transplantationsmedizin, Universitätsklinikum Münster
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Juni 2016 (online)

Die hochkomplexe und interdisziplinäre Transplantationsmedizin ermöglicht es, das Herz, die Lunge, die Niere, die Leber, das Pankreas und den Dünndarm einzeln, in Kombination oder „en bloc“ zu übertragen. Die Organtransplantation birgt zahlreiche bioethische Herausforderungen. So gibt es in Deutschland fortführende Diskussionen u. a.

  • zur Feststellung des Todes,

  • wann und wie eine Organspende angesprochen werden darf oder muss,

  • wann welche Form einer spenderzentrierten Therapie gerechtfertigt ist,

  • wie die Organe verteilt werden und

  • wer darüber entscheiden sollte.

Erst 1997 erhielt die praktizierte Transplantationsmedizin durch die Implementierung des Transplantationsgesetzes eine rechtliche Grundlage. Die Selbstverwaltung der Ärzte in Form unserer Bundesärztekammer wurde als integrale Instanz bedacht und die Ständige Kommission für Organtransplantation eingerichtet. Diese legt mittels Richtlinien die Vorgehensweisen in der Transplantationsmedizin unter den Kriterien der Dringlichkeit und der Prognose gemäß den Vorgaben des Transplantationsgesetzes fest.

Die Transplantationsmedizin ist eng mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Krankenversicherungen verbunden. Dies prägt bis heute die Steuerungs- und Finanzierungssystematik der Transplantationsabläufe. Im Rahmen der Novellierung des Transplantationsgesetzes 2012 wurde die gemeinsame Geschäftsstelle Transplantationsmedizin eingerichtet. Darin ist auch die Prüfungs- und Überwachungskommission zur Kontrolle von Eurotransplant, der Deutschen Stiftung für Organtransplantation und den Transplantationszentren integriert. Der Personalunion dieser Gremien obliegt die Richtlinienhoheit. Zugleich führen sie die Prüfungen und Überwachungen durch, verbreiten die Prüfberichte medial und unterrichten in Einzelfällen die Staatsanwaltschaften über ihre Einschätzungen.

Die Transplantationsmedizin in Deutschland ist sehr umstritten und steht weiterhin politisch auf dem Prüfstand. Medizinisch ist sie hoch komplex und Schrittmacher für viele Innovationen in der Medizin. Durch die Einführung z. B. neuer Medikamente in der Therapie der Hepatitis C konnten einige Patienten vor einer Lebertransplantation bewahrt werden. Inwieweit Deutschland weiterhin medizinisch eine führende Rolle auf diesem Gebiet behaupten kann, bleibt aber offen. Spannende interdisziplinäre Entwicklungspotenziale ergeben sich z. B. durch die Kombination einer Organtransplantation mit der Gabe von Stammzellen oder durch neue Errungenschaften in der Intensivmedizin, Immunologie und Infektiologie.