Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(06): 388
DOI: 10.1055/s-0042-103454
Dossier
Palliativmedizin und Sterbebegleitung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Palliativmedizin und Sterbebegleitung: Ärzte müssen sich der Diskussion stellen

Palliative and terminal care: doctors have to face the discussion
Wolfgang Hiddemann
1   Medizinische Klinik und Poliklinik III am Klinikum der Universität München
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Publication Date:
16 March 2016 (online)

In den letzten 10–15 Jahren ist ein grundsätzlicher Wandel in der Wahrnehmung von Sterbehilfe und Sterbebegleitung eingetreten – Aufgaben des Arztes mussten neu definiert werden. Bis Ende der 90er Jahre wurde die Lebenserhaltung und -verlängerung als die vordringliche Aufgabe des Arztes angesehen. Nicht zuletzt die großen Fortschritte in der Medizin haben dazu geführt, dass nun auch die Frage nach einer sinnvollen Begrenzung und ggfs. sogar Beendigung medizinischer Maßnahmen gestellt wird. Die würdevolle Gestaltung und Begleitung des letzten Lebensabschnittes rückt zunehmend in das Bewusstsein der Ärzte und der Gesellschaft.

Krankheit, Leiden und Tod werden auch heutzutage in unserer Gesellschaft noch verdrängt. An besonders spektakulären Fällen flammt jedoch immer wieder die Diskussion über eine „unmenschliche“ Verlängerung von Leiden und Sterben durch die sogenannte Apparatemedizin auf. In diesen Fällen wird das Recht auf ein Sterben in Würde oder gar auf aktive Sterbehilfe und die freie Wahl des Todeszeitpunkts gefordert. Dieser Diskussion müssen sich die Ärzte stellen, auch um der berechtigten Sorge vor einer Übertherapie und der Angst vor dem Ausgeliefertsein gegenüber einer unmenschlichen Apparatemedizin eine deutliche, ärztlich vertretbare Antwort entgegen zu setzen.

Dieser Herausforderung können wir heute so gut wie noch nie zuvor begegnen. Es stehen uns derzeit zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, um Schmerzen zu bekämpfen, Ängste zu lindern und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Dazu gehört jedoch die fundamentale Einsicht, dass der Medizin immer Grenzen gesetzt sind und der Tod Teil unseres Lebens ist. Daher muss die Begleitung sterbender und totkranker Menschen als eine zentrale ärztliche Aufgabe betrachtet werden.

Das vorliegende Dossier zur Sterbebegleitung und Sterbehilfe stellt die wichtigsten Aspekte dieser komplexen Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln dar. So muss zum einen die Entscheidung zur Therapiebegrenzung am Lebensende auf der Basis einer vorausschauenden Behandlungsplanung getroffen werden, um eine Übertherapie am Lebensende zu verhindern. In gleicher Weise gilt es die Möglichkeiten der palliativen Betreuung am Lebensende zu kennen. Außerdem muss die rechtliche Lage berücksichtigt werden, auf der ärztliche Entscheidungen am Lebensende basieren können. Neben diesen medizinischen und rechtlichen Gesichtspunkten kommen auch ethische und religiöse Aspekte zum Tragen.

Insgesamt soll das vorliegende Dossier dazu beitragen, sich den komplexen Herausforderungen, die mit Sterbebegleitung und Sterbehilfe verbunden sind, in angemessener Weise zu nähern und eine Hilfestellung für diese große Aufgabe ärztlicher Tätigkeit geben.