Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(08): 393-394
DOI: 10.1055/s-0033-1360053
Korrespondenz | Correspondence
Erwiderung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Validität der ärztlichen Dokumentation von Disease Management Programmen – Erwiderung 1

Disease management programs in Germany: Validity of the medical documentation
R. Linder
,
D. Horenkamp-Sonntag
,
S. Engel
,
D. Köppel
,
T. Heilmann
,
F. Verheyen
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 January 2014 (online)

Dr. Altenhofen et al. scheinen unseren Beitrag sowie den Kommentar Prof. Martin dahingehend misszuverstehen, dass dieser die „gewaltige dokumentationstechnische Arbeit der Vertragsärzte im Rahmen der DMP diskreditieren“ wolle. Dies war zu keinem Zeitpunkt unsere Absicht. Stattdessen gehen wir auf Unzulänglichkeiten in den Ausfüllanleitungen, gewisse Unschärfen und Interpretationsspielräume im Zusammenhang mit patientenberichteten Angaben ein. All dies erschwert die ärztliche Arbeit. Wir fordern eine Reformierung der DMP-Programme unter Nutzung von GKV-Abrechnungsdaten zur Vermeidung unnötiger Doppelerfassungen.

Zu den drei Kritikpunkten im Einzelnen:

Ad 1)

In unserem Beitrag betrachten wir GKV-Routinedaten immer dann als „Goldstandard“, wenn sie finanzwirksam sind und deshalb – im Gegensatz zur DMP-spezifischen Dokumentation – extern mit hohem Aufwand geprüft werden, teilweise sogar mehrfach. Altenhofen et al. versuchen diese Sichtweise v. a. durch Nennung ausgewählter Literatur zu erschüttern, welche die Aussagekraft ambulanter Diagnosen anzweifelt. Zum einen konnte andernorts an einer Reihe von Krankheitsbeispielen (Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, Ulcus pepticum, Schizophrenie) in Untersuchungen mit GKV-Routinedaten gezeigt werden, dass die Plausibilisierung der gewonnenen epidemiologischen Kenngrößen eine relativ gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen nationaler epidemiologischer Studien oder Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys und der Gesundheitsberichterstattung des Bundes ergibt [2]. Zum anderen sind ambulante Diagnosen, die im Gegensatz zu Arzneimitteldaten (§ 300 SGB V) sowie stationären Abrechnungsdaten (§ 301 SGB V) nicht direkt finanzwirksam sind, nicht Gegenstand unserer Untersuchung gewesen.

Ad 2)

Wie im Manuskript ausgeführt wurden diejenigen Inhalte miteinander verglichen, die einerseits über die GKV-Routinedaten und andererseits über die DMP-spezifische Dokumentation verfügbar sind. Die Autoren verwahren sich gegen eine womöglich tendenziöse Auswahl. Alle untersuchten Ergebnisse sind im Online-Material aufgeführt. Da nicht jeder Leser mit der Interpretation der von Altenhofen et al. empfohlenen Kappa-Statistiken vertraut ist, wurde mit den berichteten Quotienten ein Zuviel oder Zuwenig im Vergleich der Dokumentationen auf einfache und nachvollziehbare Art und Weise abgebildet. Angesichts der Eindeutigkeit der Ergebnisse versprechen Signifikanzberechnungen keinen weiteren Erkenntniswert.

Anders als der Blutdruck werden Blutzucker und Kreatinin mit dreistelliger Genauigkeit angegeben und unterliegen – anders als das Körpergewicht – gewissen Schwankungen, die eine exakte Übereinstimmung mit dem Zahlenwert aus der vorhergehenden DMP-Folgedokumentation unwahrscheinlich machen. Nur diese (technischen) Erwägungen haben uns bei der Auswahl geleitet. Änderungen von Blutdruck und Körpergewicht wurden von uns nicht untersucht. Die Analyse von vier repräsentativen KV-Regionen ist ein methodisch akzeptiertes Verfahren. So hat beispielsweise der Bewertungsausschuss in seiner 184.  Sitzung am 20.05.2009 vorgegeben, dass die Berechnung der Veränderungsrate der morbiditätsbedingten Leistungsmenge auf der Grundlage der bis zum August 2009 im Institut des Bewertungsausschusses verfügbaren Daten (Abrechnungsdaten der vier Kassenärztlichen Vereinigungen Bremen, Niedersachsen, Nordrhein und Thüringen aus dem Zeitraum 2006 bis 2008) erfolgen soll. Hintergrund dieser Analysen auf Basis einer 4-KVen-Stichprobe ist die Vergütung der vertragsärztlichen Versorgung, die ein Finanzvolumen von ca. 30 Milliarden Euro pro Jahr hat.

Ad 3)

Eine fehlerfreie Patientenidentifikation über gleichlautende Pseudonyme in beiden untersuchten Datenquellen ist für die TK selbstverständlich, da diese für ein jährliches Finanzvolumen von 26 Milliarden Euro (geplanter TK-Haushalt für 2014) abrechnungsrelevant ist. Unabhängig davon kommt bei jeder unserer Sekundärdatenanalysen die „Gute Praxis Sekundärdatenanalyse“ (GPS) zur Anwendung [1]. Methodische Aspekte zur Prüfung und Validität von GKV-Routinedaten sind darüber hinaus ein separater methodischer Forschungsschwerpunkt beim WINEG [3].

Der von Altenhofen et al. vorgebrachte Einwand hinsichtlich möglicher Probleme bei der Quartalsabgrenzung von Verordnungen ist berechtigt, eine entsprechende Würdigung im Manuskript ist dem Platzmangel geschuldet. Ursprünglich hieß es: „In Bezug auf die verwendete Methodik bei den Arzneimittelanalysen ist kritisch anzumerken, dass bei den chronischen Erkrankungen eine Dauermedikation anzunehmen ist und infolge dessen auch mehrfach im Zeitraum von einem Jahr entsprechende Arzneimittel von den Versicherten in Anspruch genommen werden müssten. Dieses ist bei den Analysen nicht berücksichtigt worden, indem man den einmaligen Bezug eines Arzneimittels bereits als Übereinstimmung interpretiert hat. Würde man das Verordnungsverhalten im zeitlichen Verlauf differenzierter betrachten, würden wahrscheinlich noch größere Abweichungen zwischen DMP-Dokudaten und GKV-Routinedaten auftreten.“

Schließlich verweisen Altenhofen et al. auf die Schwierigkeit, dass stationäre Notfallbehandlungen möglicherweise vom Patienten berichtet sind. Genau dies sehen wir als ein wichtiges Momentum, das in der Konsequenz zu voneinander abweichenden Dokumentationswahrheiten führt.

Leserbrief

Erwiderung 2

 
  • Literatur

  • 1 Gute Praxis Sekundärdatenanalyse (GPS), Leitlinien und Empfehlungen. Leitlinien und Empfehlungen. . 3. Fassung 2012, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten (AGENS) der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi)
  • 2 Häussler B, Gothe H. Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen. In: Hurrelmann K, Laaser U, Razum O, Hrsg. Handbuch Gesundheitswissenschaften. 4.,. vollständig überarbeitete Aufl. Weinheim, München: Juventa; 2006: 561-581
  • 3 Horenkamp-Sonntag D, Linder R, Gerste B, Ihle P. Methodische Standards zur Prüfung der Daten-Qualität bei GKV-Routinedatenanalysen für Fragestellungen der Versorgungsforschung. . 12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung und Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie, 23. bis 25. Oktober 2013 in Berlin, Abstract und Poster