Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A163
DOI: 10.1055/s-0032-1323326

Optimierungsmöglichkeiten der Versorgung von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bei psychischen Beschwerden – Rolle der Interkulturellen Kompetenz bei der hausärztlichen Versorgung

K Karacay 1, Z Devecioglu 1, A Kronenthaler 2, M Eissler 2, A Batra 1, F Wernz 3
  • 1Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen, Tübingen
  • 2Lehrbereich Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
  • 3Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Tübingen, Tübingen

Hintergrund: Der Zugang ins psychiatrische Versorgungssystem ist für Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland weiterhin dringend verbesserungswürdig. Das rechtzeitige Erkennen psychischer (psych.) Beschwerden durch den Hausarzt als Zugangsweg zur psychiatrischen Weiterbehandlung kann bereits bei deutschsprachigen Patienten (Pat.) Schwierigkeiten bereiten. Sprachliche u. kulturelle Verständigungsprobleme zwischen Arzt u. Pat. können dies weiter erschweren. Dies trifft auch auf türkischstämmige (türkischst.) Menschen zu (> 2,5 Mio. in Deutschland). Für eine bessere Versorgung von Migranten wird eine Öffnung des med. Systems sowie Kulturkompetenz gefordert. Ziel: Es soll die Rolle von interkultureller Kompetenz (IK) von Hausärzten: bei der Behandlung von türkischst. Pat. mit psych. Beschwerden untersucht werden. Forschungsfragen: Besteht aus Sicht der Hausärzte Bedarf für eine entsprechende Schulung? Wie sollte diese konzipiert sein? Wie bewerten türkischst. Pat. mit psych. Beschwerden die interkulturelle Verständigung mit dem Hausarzt? Wie viel IK besitzen Hausärzte in Baden-Württemberg (BW)? Methoden: Qualitativ: Fokusgruppen mit Hausärzten, Interviews mit türkischst. Pat. der Psychiatrischen Institutsambulanz Tübingen. Quantitativ-deskriptiv: Einsatz u. Evaluation eines Selbstbewertungsfragebogens zur Interkulturellen Kompetenz bei Hausärzten in BW. Erste Ergebnisse: Die Rekrutierung gestaltete sich aufwändig. Ärzte gaben v.a. Zeitmangel u. fehlende Relevanz, Pat. eher Überforderung als Gründe für Nichtbeteiligung an. Für beide schienen sprachliche Barrieren u. kulturelle Unterschiede beim Erkennen/ Schildern von psych. Störungen eine Rolle zu spielen. Die teilnehmenden Hausärzte waren an einer IK-Schulung interessiert. Ausblick: Es sollte untersucht werden, ob durch IK-Schulungen von Hausärzten eine Verbesserung der Arzt-Pat.-Kommunikation u. dadurch ein besseres bzw. frühzeitigeres Erkennen von psych. Beschwerden bei türkischst. Pat. erreicht werden kann.

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Die Studie wird innerhalb des Nachwuchsprogramms des Netzwerks „Versorgungsforschung Baden-Württemberg“ durchgeführt, das vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren gefördert wird.