Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(18): 963
DOI: 10.1055/s-0032-1304934
Korrespondenz | Correspondence
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notwendigkeit der Differenzialdiagnostik bei Dekompressionsunfall

Need for differentiating decompression illness
K. Tetzlaff
1   Medizinische Klinik, Abteilung Sportmedizin, Universitätsklinikum Tübingen
,
C. M. Muth
2   Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Ulm
,
C. Klingmann
3   Hals-Nasen-Ohren Klinik und plastische Operationen, DIAKO Bremen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. April 2012 (online)

Zum Beitrag in DMW 9 /2012

Mit großem Interesse haben wir die Kasuistik des Tauchunfalls einer 33-jährigen Patientin von Leschka und Schumacher [3] gelesen, die den Stellenwert der bildgebenden Diagnostik nach einem Dekompressionsunfall beleuchtet. Der Fallbericht verdient einige Anmerkungen zur terminologischen Differenzierung und erforderlichen Differenzialdiagnostik von Dekompressionsunfällen.

Die Autoren konstatieren korrekt, dass die Diagnose der Dekompressionskrankheit (DCS) klinisch gestellt wird. Anamestische Angaben (ggf. des Tauchpartners) zum Unfallhergang und insbesondere zum Tauchgang können zusätzlich essenzielle Informationen liefern, um Risikofaktoren für die Dekompressionskrankheit (z. B. Verstoß gegen Austauch-/Dekompressionsalgorithmen) aufzudecken und damit die Diagnose der DCS zu erhärten. Ein schnelles Auftauchen, wie die Autoren berichten, ist als alleiniger Grund nicht notwendigerweise mit dem Auftreten einer DCS verbunden und kann im Einzelfall völlig problemlos sein. Der Erhebung der detaillierten Tauchgangsanamnese kommt wichtige Bedeutung im Rahmen der weiteren tauchmedizinischen Beratung zu (s. u.), aber auch zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung nicht-tauchbedingter kardiovaskulärer Ereignisse [2].

Differenzialdiagnostisch muss die arterielle Gasembolie von der DCS abgegrenzt werden, die durch Entweichen von Atemluft in das pulmonale Gefäßbett infolge eines Lungenbarotraumas oder den Übertritt von Stickstoffblasen vom venösen ins arterielle System durch einen präformierten Shunt, z. B. ein persistierendes Foramen ovale, geschieht [2]. Diese klinischen Entitäten werden zusammen mit der DCS (engl. decompression sickness) als Dekompressionsunfälle (engl. decompression illness) verstanden. Trotz unterschiedlicher Pathogenese ist diesen Entitäten die Schädigung durch überschüssiges Gas im Körper gemeinsam und entsprechend eine Therapie mit hyperbarem Sauerstoff indiziert [6]. Aufgrund der Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Behandlung ist eine aufwändige Diagnostik zunächst zurückzustellen. Nach klinischer Stabilisierung sollte allerdings unbedingt eine weitere Differenzialdiagnostik erfolgen, da die Ätiologie des Dekompressionsunfalls entscheidende Konsequenzen hinsichtlich der Beratung des Patienten nach sich zieht.

Im vorgestellten Fall haben sich die Autoren auf die Diagnose einer Dekompressionskrankheit festgelegt. Aufgrund des Auftretens klinischer Symptome noch während des Auftauchens ist jedoch vordringlich an eine Gasembolie zu denken, da Symptome der DCS (im Gegensatz zur Gasembolie) in den meisten Fällen verzögert auftreten. Grund ist die nichtlineare Entsättigungskinetik des überschüssigen Stickstoffs, denn Gasblasen werden in der Regel erst einige Zeit nach dem Tauchgang nachgewiesen [2]. Demgegenüber geht die arterielle Gasembolie mit sofortiger schlaganfall-ähnlicher Symptomatik einher, bedingt durch die beim Auftauchen lagebedingte Lokalisation der Gasemboli in arteriellen Gefäßen des ZNS [4], wie es sich in dem geschilderten Fall darstellte. Auch die Angabe von Brustschmerz lässt an ein pulmonales Barotrauma als Ursache einer Gasembolie denken.

Ein pulmonales Barotrauma kann jedoch in der Dekompressionsphase der hyperbaren Sauerstofftherapie zu einem Spannungspneumothorax mit Einflussstauung und kardiopulmonalem Versagen führen, so dass bei dieser Verdachtsdiagnose dringend ein radiologischer Ausschluss dieser Diagnose gefordert wird, wenn möglich durch ein Thorax-CT, zumindest aber durch ein Röntgen-Thorax, sofern dies ohne relevanten Zeitverlust möglich ist. Bei Hinweisen auf ein pulmonales Barotrauma sollte die Versorgung mit einer Thoraxdrainage durchgeführt werden [1] [6].

Die Erfahrung zeigt auch, dass viele verunfallte Taucher nach Genesung die Frage nach weiterer Tauchtauglichkeit stellen. Während diese im Falle eines Zustandes nach DCS ohne Residualschäden durchaus gegeben sein kann, so verlangt die Pathogenese einer Gasembolie nach pulmonalen Barotrauma eine differenzierte Bewertung. Im letzteren Falle ist der Ausschluss prädisponierender pulmonaler Risikofaktoren wie z. B. Emphysembullae, Pleuraadhäsionen [5] usw. unbedingt erforderlich, da deren Nachweis eine dauerhafte Tauchuntauglichkeit bedeuten würde, wie es in den Empfehlungen der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin berücksichtigt wird [7].