Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(04): 142
DOI: 10.1055/s-0031-1298833
DMW Falldatenbank | Case report
Psychosomatik, Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chronisch entzündliche Darmerkrankung oder psychogene Essstörung – Fall 1/2012

Interdisziplinäre Herausforderungen an Diagnostik und TherapieInflammatory bowel disease or eating disorder – Interdisciplinary challenges in clinical diagnostics and treatment – Case 1/2012
M. Muthig
1   Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
S. Becker
1   Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
K. E. Giel
1   Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
C. Kortüm
2   Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie, Infektionskrankheiten, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
J. Kuprion
3   Abteilung Endokrinologie, Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
S. Zipfel
1   Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
,
M. Teufel
1   Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Universitätsklinik Tübingen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. Januar 2012 (online)

Zusammenfassung

Anamnese und klinischer Befund: Eine 33-jährige Patientin mit chronischer Anorexie kam wegen erneuter ausgeprägter Gewichtsabnahme in psychosomatische stationäre Behandlung. Seit 4 Jahren stand zudem der hochgradige Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung im Raum. Die Patientin selbst war überzeugt, dass ihre Gewichtsabnahme rein organisch bedingt sein müsse und gab häufige Durchfälle nach den Mahlzeiten an. Zudem ergab sich bei Melanosis coli der Verdacht auf einen Laxantienabusus.

Untersuchungen: Ein MR-Sellink zeigte keinen Hinweis auf eine derzeit aktive Entzündung im Darmbereich. Auch laborchemisch zeigten sich keine erhöhten Entzündungsparameter. Die erhöhte Durchfallfrequenz ließ sich durch Stuhlbeobachtung und durch Führen eines Symptomtagebuchs nicht nachvollziehen.

Therapie und Verlauf: Die Behandlung erfolgte mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt. Während des Verlaufs zeigten sich immer deutlicher anorexietypische Kognitionen. Behandlungsziele waren ein besserer Umgang mit der Essstörung und die Distanzierung von der somatischen Fixierung, was nur teilweise gelang.

Folgerung: Eine gleichzeitig zu einer chronischen Anorexie vorliegende komorbide organische Störung des Gastrointestinaltrakts, bzw. der Verdacht auf eine solche, erschwert Diagnostik und Therapie, da eine organische Ursache oft nur schwer von einer psychosomatischen Ursache abzugrenzen ist und gastrointestinale Beschwerden häufige Symptome einer Essstörung sind. Infolge der organischen Fixierung ist die Therapie der Essstörung erschwert.

Abstract

History and admission findings: A 33-year-old female patient with chronic anorexia nervosa was admitted for inpatient psychosomatic treatment after a recent severe weight loss. In addition, an inflammatory bowel disease had been suspected in the past 4 years. The patient was convinced that the weight loss had purely organic reasons. She reported frequent diarrhea after meals. Also laxative abuse was suspected because of melanosis coli.

Diagnosis: An MR Sellink showed no evidence for actual intestinal inflammation. No increased inflammation parameters were found in blood tests. Diarrhea could not be proved by investigation of excrements or a symptom diary.

Treatment and course: Treatment consisted of a multimodal approach with focus on cognitive behavioural therapy. Treatment revealed eating disorder specific cognitions, fears and behaviour. A partial acceptance of gastrointestinal symptoms and weight loss as eating disorder symptomatology could be achieved.

Conclusion: Diagnostics and treatment of chronic anorexia nervosa are complicated by a coincidental (or suspected) organic intestinal disease. Gastrointestinal problems are common in eating disorders. Organic symptoms are often difficult to distinguish from psychosomatic symptoms. Somatic fixation complicates treatment of eating disorders.