Zusammenfassung
Wenn wir unsere drei Fälle noch einmal im Zusammenhang betrachten, so können wir feststellen,
daß in zweien die Nirvanoltherapie unter den bekannten Erscheinungen des Fiebers und
Exanthems zu einem vollen Erfolg geführt hat. Dieser Erfolg ist besonders glänzend
in dem einen Falle von schwerster Chorea. Fieber und Exanthem boten nichts Neues gegenüber
den früheren Beschreibungen.
Bemerkenswert ist nun, daß im dritten Falle weder Fieber noch Exanthem auftrat. Husler
spricht zwar auch von einem oder zwei Versagern anderer Art, nämlich Fällen, in denen
es trotz Exanthems nicht zu deutlicher Beeinflussung der Chorea kam. Er nennt als
mutmaßliche Gründe für dieses Versagen zu kurzdauernde Verabfolgung oder zu geringe
Dosierung. Die erstere können wir in unserem Falle für das Ausbleiben von Fieber und
Exanthem nicht verantwortlich machen. Nirvanol wurde hier 18 Tage lang gegeben. Vielleicht
die letztere, obwohl wir die übliche Dosis von 0,3 bis 0,4 g gegeben haben. Man müßte
dann eben eine individuell verschiedene Reaktionsfähigkeit auf das Mittel annehmen.
Ob es nur ein Zufall war, daß gerade bei dem Patienten mit der leichtesten Chorea
die Reaktion mit Fieber und Exanthem ausblieb, vermögen wir nicht zu sagen. Es wäre
ja denkbar, daß Kranke mit schwerer Chorea viel leichter auf das Mittel ansprechen.
Unsere Beobachtung, daß im ersten, schwereren Falle das Fieber schon am 5. Tage auftrat
und 8 Tage lang eine sehr hohe Kontinua auf wies, daß sich auch das Exanthem schon
am 7. Tage einstellte, während im zweiten, weniger schweren Falle das Fieber erst
am 9. Tage auftrat, nur 5 Tage bestehen blieb, niedrigere Grade zeigte, und auch das
Exanthem erst am 9. Tage sich ausbildete, können wir leider nicht zur Entscheidung
dieser Frage mit heranziehen, wegen des großen Unterschiedes der Dosen, die in den
beiden Fällen verabfolgt wurden.
Wir müssen übrigens bemerken, daß auch in diesem dritten Falle, der weder Fieber noch
Exanthem bekam, vom 10. Tage der Nirvanolmedikation an eine deutliche Besserung der
choreatischen Symptome beobachtet wurde. Dieser Tatsache käme, wenn sie auch von anderen
Beobachtern bestätigt würde — unser betreffender Fall stellte eben nur eine leichte
Chorea dar — eine große Bedeutung in bezug auf den Wirkungsmodus der Nirvanoltherapie
zu. Darüber später noch ein paar Worte.
Auf das Auftreten irgendwelcher Nebenerscheinungen wurde besonders geachtet. Die Brauchbarkeit
eines Medikamentes würde ja doch illusorisch, wenn es sich zeigte, daß es zwar die
Symptome, deretwegen es verabfolgt wurde, zu beseitigen vermag, dafür aber auf andere
Organe schädigend wirkt. Die genaue Beobachtung etwaiger Nebenerscheinungen erschien
uns aus mehreren Gründen besonders geboten. Zum ersten müssen wir uns darüber klar
sein — wir haben es schon eingangs gesagt —, daß Fieber und Exanthem, die wir durch
das Medikament herbeiführen wollen, toxische Reaktionen darstellen. Zum zweiten müssen
wir bedenken, daß in fast allen Fällen von Chorea Herzerscheinungen bestehen, oft
nur Rhythmusstörungen, sehr häufig aber auch die klinischen Symptome eines Klappenfehlers
oder gar einer noch akuten Endokarditis. Diese Tatsache mahnt einerseits zur Vorsicht,
daß man bestehende Erscheinungen durch die toxischen Dosen des Medikamentes nicht
verschlimmere, und führt anderseits zu dem Schlüsse, daß man für neuauftretende bzw.
sich verstärkende Symptome nicht unbedingt das Medikament verantwortlich machen darf.
Nun hat schon die pharmakologische Prüfung des Mittels im Tierversuch ergeben, daß
es sich in passenden Dosen dem Kreislauf und der Atmung gegenüber indifferent verhält
(Poulsson). Bei zwei von unseren Fällen bestanden die Symptome eines leichten, durchaus
kompensierten Klappenfehlers. Bei beiden blieben diese Symptome völlig unverändert
sowohl während als auch nach Verabfolgung des Medikamentes, und zwar trotz Ueberdosierung
des Mittels in dem einen Falle.
Mehr unangenehm als bedenklich ist die starke hypnotische Wirkung, die nicht nur bis
zur Somnolenz, sondern sogar — allerdings wieder bei sehr hoher Dosierung — bis zu
einem gewissen Sopor des Patienten führen kann. Dieser Umstand dürfte wohl auch Veranlassung
dazu geben, die Nirvanoltherapie der Chorea wenn möglich nur in der Klinik durchzuführen.
Der Wirkungsmodus des Medikamentes ist unbekannt. Husler glaubt nicht an eine Reizkörpertherapie,
sondern an eine chemische Einwirkung auf striäre Zentren. Man wird über eine große
Anzahl von Beobachtungen verfügen müssen, um zu entscheiden, welche Rolle dem Fieber
und Exanthem bei der Wirkung des Nirvanols zukommt, ob Fieber und Exanthem eine conditio
sine qua non bedeuten, ob in gewissen Fällen Fieber ohne Exanthem bzw. umgekehrt ein
Exanthem ohne Fieber auftreten und den Verlauf der Chorea beeinflussen kann.
Nach den Erfahrungen, die wir mit der Nirvanolbehandlung der Chorea gemacht haben,
möchten auch wir dazu raten, in Fällen von Chorea, besonders in den schwereren, diese
Therapie anzuwenden.
Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wie H. Strauß in der Diskussion zum eingangs
erwähnten Vortrage Langsteins angeregt hat, zu versuchen, auch durch andere Hypnotika,
etwa durch Luminal, in entsprechend hoher Dosierung Fieber und Exanthem zu erzeugen
und die Wirkung auf die Chorea zu beobachten.
Aber auch noch ein anderer Versuch wäre von größtem Interesse — Langstein hat diesen
Gedanken geäußert — nämlich auch andere „striäre Symptomenkomplexe”, z. B. enzephalitische
Prozesse, deren Abgrenzung gegenüber der Chorea in vielen Fällen sehr schwierig, ja
oft ganz unmöglich ist, durch eine solche Therapie zu beeinflussen.