Dtsch Med Wochenschr 1935; 61(47): 1887-1891
DOI: 10.1055/s-0028-1122666
Ärztliche Fortbildung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die klinischen Formen der Gasbazilleninfektion

K. Bingold
  • Aus der I. Medizinischen Klinik des Allgemeinen Städtischen Krankenhauses in Nürnberg. Vorstand: Obermed.-Rat. Prof. Bingold
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 September 2009 (online)

Zusammenfassung

Wenn wir noch einmal unsere Erfahrungen überblicken, die wir in über 20 Jahren an Gasbazilleninfektionen des Krieges und des Friedens gewonnen haben, so erkennen wir, daß der Gasbazillus, den wir in den Mittelpunkt unserer Betrachtung gestellt haben — als einer der häufigst vorkommenden Mikroorganismen, die es überhaupt gibt —, sich in der verschiedensten Weise als Infektionserreger auswirkt.

Während ursprünglich dieser Keim von Welch nur als Erreger von kadaverösen Schaumorganen beschrieben worden ist, hat Eugen Fraenkel erkannt, daß der Gasbazillus als Erreger des außerordentlich gefährlichen Gasbrandes anzusprechen ist.

In der Folgezeit haben die Untersuchungen, vor allem an der Schottmüllerschen Klinik die Bedeutung des Gasbazillus bei schweren puerperalen Infektionen des Uterus und seiner Nachbarschaft klarstellen können.

Es zeigte sich schon bei Beobachtungen an Peritonitiden, daß der Gasbazillus rein sanguinolente Exsudation hervorrufen könne. In der Kriegszeit mußte man von der etwas zu einseitigen Einstellung Fraenkels hinsichtlich des Wesens der Gasgangrän abrücken, wonach der Gasbazillus in erster Linie im Gewebe als Gasbildner auftrete und das Ödem hinter dieser Wirkungsweise ganz wesentlich zurückträte. Insbesondere Aschoff konnte darauf hinweisen, daß die Infektion vor den schwereren Zerfallserscheinungen und vor der Muskelerweichung und Nekrose mit vorwiegender Ödembildung einhergeht. Die verschiedenen Einteilungsformen in Gasentzündung, Gasabszeß, putride Gasinfektion und Gasgangrän sagen nur etwas über die Stadien aus, die bei der Gasbazilleninfektion vorkommen können. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei nur um ein Überwiegen des einen Symptoms über das andere, wobei natürlich auch bedeutungsvoll ist, was für Mischinfektionserreger eine Rolle spielen.

Die reinste Form der Gasbazilleninfektion ist der Gasbrand, der sich oberhalb und unterhalb der Faszie im Unterhautzellgewebe, aber vor allem auch im Muskelgewebe abspielt. Handelt es sich um eine Infektion in einer offenen Wundhöhle, so besteht in den allerseltensten Fällen eine Monoinfektion, denn in die Wundhöhle kann mit den Fremdkörpern auch eine beträchtliche Anzahl anderer Erregerarten mit eindringen. Gas in einer solchen Wunde kann von verschiedenen anaëroben gasbildenden Bakterien erzeugt werden.

Unterschiede zeigen sich bei Infektionen mit dem Fraenkelschen Gasbazillus nicht allein im anatomischen Bild, sondern auch in der klinischen Verlaufsform. Wir haben darauf hinweisen können, daß der Gasbazillus, dessen hämolytische Toxinwirkung wir schon im hämorrhagischen, lokal sich ausbreitenden Ödem erkennen konnten, eine allgemein-zerstörende Wirkung auf das Blut ausüben kann, wenn die Infektion im Puerperium auftritt. Dadurch unterscheidet sich auch ganz wesentlich das klinische Bild zwischen dem Extremitätengasbrand und der puerperalen Gasbazillensepsis.

Unsere Krankheitsfälle, die wir in den letzten Jahren klinisch, bakteriologisch und spektrochemisch näher untersuchen konnten, haben uns auch gelehrt, daß der Gasbazillus viel häufiger als Erreger auch in der inneren Medizin eine Rolle spielt, als man ehedem angenommen hat. So sehen wir ihn auch bei thrombophlebitischen septischen Prozessen beteiligt, die von Krankheitszuständen ausgehen, deren anatomische Lage die Anwesenheit des Gasbazillus erklärlich macht. Das ist der Fall — abgesehen vom weiblichen Genitale — im Darm und in der Mundhöhle.

Schließlich haben wir auch in der Nachkriegszeit immer wieder bestätigt finden können, daß der Gasbazillus bei septischen Prozessen (auch beim Extremitätengasbrand) durch Kultur aus dem Blute nachzuweisen ist. Aber nicht die Tatsache einer Bakteriämie allein ist es, die zu den schweren Blutzerstörungen mit den hochgradigen Leukozytosen und zum hämolytischen Ikterus führt. Hierzu gehört noch ein Faktor, der, wie es scheint, hauptsächlich im Puerperium auftritt.

Eigene Versuche konnten einen Zusammenhang zwischen einer Gasbazillentoxinämie (vom Darm ausgehend) und der perniziösen Anämie nicht bestätigen. Es scheint aber nicht unwahrscheinlich, daß es sich um ein ähnlich wirkendes Gift bei beiden Erkrankungen handelt. Das verbindende Symptom ist bei beiden eine Hämatinämie.

Obwohl der Gasbazillus ein ständiger Bewohner des menschliehen Darmes ist, stellt die Gasbazillenbakteriämie stets ein Symptom dar, das auf eine bestehende Infektion hinweist, wo immer auch diese im Körper gelagert sein mag. Ein Eindringen von Gasbazillen ins Blut, ohne daß eine Herdinfektion vorhanden gewesen wäre, gibt es nicht.

Es ist ein großes Verdienst der chemischen Industrie, daß nunmehr auch ein antitoxisches Gasödemserum hergestellt werden konnte, das, wie es scheint, eine ausgezeichnete prophylaktische Wirkung hat. Zugleich muß aber vor dem Optimismus gewarnt werden, daß dieses polyvalente Gasödemserum imstande sei, eine ausgebrochene Gasbazilleninfektion zu bekämpfen.

Die Therapie liegt auch heute noch in der Hand des Chirurgen bzw. Gynäkologen.

    >