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DOI: 10.1055/s-0028-1121616
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Wertung und Überwertung des Elektrokardiogramms*
* Vorgetragen in der Sitzung der Berliner Medizinischen Gesellschaft am 13. III. 1940.Publication History
Publication Date:
08 June 2009 (online)

Zusammenfassung
In den vorliegenden Ausführungen konnte bei der Fülle der Tatsachen nur kurz auf einige, vor allem für die Beurteilung des Elektrokardiogramms wichtige Punkte eingegangen werden.
Heutzutage, wo wir jeden Menschen weitgehend von dem Standpunkt beurteilen müssen, inwieweit er sich in den Aufgabenkreis der Volksgemeinschaft während des Krieges einordnen lassen kann, muß beim Erkennen gewisser Organschädigungen doch vor allem der verbliebene Leistungsrest und die damit verbliebene Verwendungsfähigkeit besonders im Vordergrund stehen. Sicherlich ist es schwierig, den Neurotiker, wenn er nicht über kompensierende Willenskräfte verfügt, großen körperlichen Belastungen auszusetzen. Eine Schädigung des Herzens droht ihm aber meines Erachtens im allgemeinen nicht, wenn man von ganz besonderen Belastungen absieht. Und ich glaube, daß es der ärztlichen Ethik nicht widerspricht, wenn auf Grund unserer ärztlichen Begutachtung einmal ein Astheniker als Kämpfer nicht an äußeren Einwirkungen des Kampfes, sondern infolge seiner Asthenie bei perakuter körperlicher Überanstrengung zusammenbricht und damit eine höchste Pflicht dem Vaterland gegenüber durch das Opfer seiner Gesundheit oder sogar seines Lebens erfüllt, genau so wie die vielen gesunden, einsatzbereiten Streiter für die Erhaltung unseres Volksganzen ihr Leben einsetzen.
Kurz zusammengefaßt möchte ich daher Personen mit Extrasystolen, geringen Abflachungen des ST-Stückes und ganz leichten Verschiebungen des T-Stückes unter bzw. über die Nullinie des ST-Stückes und mit Dauertachykardie als „kriegsverwendungsfähig” bezeichnen.
Bei stärkeren Veränderungen der Nachschwankung ist der Untersuchte vorerst nur als zeitlich garnisondienstfähig zu bezeichnen, vor allem, wenn der Befund kurz nach einem durchgemachten Infekt erhoben worden ist. In der Zwischenzeit sollte bei Schonung und dosiertem körperlichen Training eine allgemeine Sanierung evtl. vorhandener Fokalherde vorgenommen werden. Nach 3 Monaten wird eine Nachuntersuchung die Frage klären, ob wir einen Dauerschaden vor uns haben. Auch der Begriff der Hypertension mit Tachykardie ist zweckmäßigerweise schärfer abzustecken und es sollte nur bei konstanter Fixierung des Blutdruckes über 145 mm von beginnendem Hochdruck gesprochen werden (L-Fehler).
Auf der anderen Seite müssen wir uns darüber klar sein, daß die Elektrokardiographie auch nur einen Teilabschnitt unter der Herzdiagnostik darstellt, daß viele Dinge, die sich am Herzen abspielen, ihr entgehen und daß ein negatives Ekg. auch noch nicht ein endgültiges Urteil über die Leistungsfähigkeit bedeutet. Daher kann die Elektrokardiographie nur ein Teil unserer Herzdiagnostik sein, wenn sie auch ein sehr wertvoller Bestandteil dieses diagnostischen Rüstzeuges ist.