Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(40): 2007
DOI: 10.1055/s-0028-1085608
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kardiologie: Herausforderungen in Praxis und Klinik

Cardiology: challenges in practice and clinicF. de Haan1 , E. Erdmann2
  • 1Praxis für Innere Medizin und Kardiologie, Solingen
  • 2Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin, Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publication Date:
25 September 2008 (online)

Fortbildungskongresse sollen dazu dienen, die medizinische Versorgung auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu überdenken und zu verbessern. Innovationen, Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit sind die Stichworte, unter denen wir neue therapeutische oder diagnostische Verfahren, Medikamente, Geräte, aber auch gesundheitspolitische Entscheidungen beurteilen. Die Diskussionen mit den erfahrenen Kollegen, deren kritische Ansichten, konträre oder zustimmende Meinungen sind für das eigene Verhalten meist wichtiger als das gedruckte Wort in einem Hochglanzprospekt. Die Konkurrenz um die beste Wissenschaft und deren Bedeutung für die optimale Patientenversorgung, auch das ist die Mission der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und der Sinn unserer Tagungen. Wenn über 3000 deutsche Kardiologen zur Herbsttagung der DGK in Hamburg kommen, dann besteht offensichtlich ein Bedarf an guter wissenschaftlicher Weiterbildung, am kollegialen Gespräch und am kritischen Gedankenaustausch. Deshalb ist dieses traditionelle Forum klinisch-kardiologischer Fort- und Weiterbildung auf hohem Niveau wichtig. Manche der hier geäußerten Ansichten bedürfen der Revision, andere weisen in die Zukunft. – In diesem Sinne haben wir das vorliegende Schwerpunktheft der Deutschen Medizinischen Wochenschrift mit Hilfe der Autoren des Kongresses gestaltet.

Das Motto der diesjährigen Tagung: „Was ist ambulant möglich – was ist stationär nötig?” wurde bewusst im Licht der jüngsten gesundheitspolitischen Entwicklungen gewählt. Die 2007 vom Gesetzgeber eingeführten Möglichkeiten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes und des Wettbewerbsstärkungsgesetzes bilden den erforderlichen Rahmen, um bewährte Strukturen für die Patientenversorgung zu überprüfen, ggf. zu optimieren und neue Möglichkeiten anzugehen. Dabei berührt dies nicht nur die sogenannten „Leistungserbringer”, das sind wir Ärzte in Klinik und Praxis, sondern auch Kostenträger, Apotheken, Pflegedienste und – last but not least – Industrieunternehmen. Hierbei ist hervorzuheben, dass gerade die niedergelassenen Kardiologen – zu mehr als 95 % organisiert im BNK – mit den genannten Beteiligten in intensiven Gesprächen und Verhandlungen stehen, um die gute kardiologische Patientenversorgung weiter zu optimieren.

Die kardiovaskulären Krankheitsbilder spielen heutzutage bei allen gesundheitspolitischen Überlegungen eine hervorragende Rolle, da es sich einerseits um große Sektoren der Patientenversorgung handelt, andererseits um medizinische und wirtschaftliche Herausforderungen, die gemeinsam gelöst werden wollen. Nach dem Motto der Politiker, dass für die Patientenversorgung das „medizinisch Notwendige, das Zweckmäßige und das wirtschaftlich Sinnvolle” zu tun ist, wurden eingreifende Sparmaßnahmen beschlossen, die in dieser Form einmalig sind. Da vielen Politikern inzwischen klar geworden ist, dass kurzfristige Rationierungsprogramme mittel- und langfristig sehr teuer werden können und damit den Gedanken der Wirtschaftlichkeit konterkarieren, sind wir Fachärzte – und insbesondere die Kardiologen in Klinik und Praxis – aufgerufen, bisherige medizinische Strukturen und Konzepte auf den Prüfstand zu legen. Es kann nicht allein Sache der Politiker und Ökonomen sein zu entscheiden, welches Krankheitsbild besser ambulant und welches Krankheitsbild besser stationär betreut wird. Soll das akute Koronarsyndrom demnächst in „Chest Pain Units” ambulant versorgt werden? Welcher Stellenwert kommt der Telemedizin in Zukunft zu? Soll die Aortenklappenstenose bald ohne die teure Operation, also interventionell von uns Kardiologen mit Klappenersatz per Katheter behandelt werden? Wie ist das Risiko der akuten Stentthrombose nach Implantation eines Drug-eluting-Stents bei unseren älteren Patienten zu bewerten?

Im Rahmen der Herbsttagung werden alle zu diesen Themen eingeladenen Referenten und Vorsitzenden versuchen, den aktuellen Wissensstand in Diagnostik und Therapie oft komplexer kardiovaskulärer Krankheitsbilder darzulegen, daneben aber auch neue und teilweise sehr kontrovers beurteilte Strategien für die Krankenversorgung zu diskutieren. Hierbei kommt es nicht nur darauf an, die Erfolge oder auch Misserfolge bisheriger Strategien aufzuzeigen, sondern selbst dem fachlich hochgebildetem DMW-Leser klar zu machen, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Therapie nur wenigen Experten (und wenigen Kranken) vorbehalten ist. Aber – das heute noch innovative Verfahren kann morgen schon zur Routine der technisch in der Regel extrem interessierten und aktiven Kardiologen werden – wenn es sich denn bewährt und nachgefragt wird.

Solange wir unsere fachlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Probleme auf den Kongressen miteinander diskutieren und das ärztlich Gebotene öffentlich loyal miteinander vertreten, bleiben unsere medizinischen Zusammenkünfte aktuell, notwendig und wirkungsvoll. Wenn unser Ansehen in der Bevölkerung das der Politiker um Dimensionen übersteigt, zeugt das auch davon, dass viele Menschen darauf vertrauen, dass wir die für sie beste Behandlung kennen und anwenden und ihnen keine hilfreiche Therapie vorenthalten. Das Herz ist schließlich an allen unseren Handlungen zentral beteiligt.

Dr. Fokko de Haan

Bergstr. 24

42651 Solingen

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