Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(04): 144-145
DOI: 10.1055/a-1984-6706
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Cholesterinsenker: Rosuvastatin schlägt Nahrungsergänzungsmittel“

Contributor(s):
Ulrich Laufs

Während Nahrungsergänzungsmittel für viele Ärzte ein nachrangiges Thema darstellen, kommt ihnen aus Sicht der Bevölkerung eine enorme Bedeutung zu. Nach aktuellen Daten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) [1] nehmen ein Drittel (!) der Erwachsenen regelmäßig mindestens 1-mal pro Woche Nahrungsergänzungsmittel ein. Daher adressiert die SPORT-Studie („Supplements, Placebo, or Rosuvastatin Study“) ein praxisrelevantes Thema. Die Autoren vergleichen 6 häufig kombinierte Nahrungsergänzungsmittel – Fischöl 2,4 g, Zimt 2,4 g, Knoblauch 5 mg, gelben Ingwer (Kurkuma, Bioperin) 4,5 g, pflanzliche Sterole 1,6 g und roten Reis 2,4 g – mit Rosuvastatin 5 mg und Placebo.

Die Studie zeigt, dass diese Nahrungsergänzungsmittel ungeeignet sind, um LDL-Cholesterin zu senken. Dagegen führt eine regelmäßige Einnahme eines Statins in geringer Dosierung zu einer robusten LDL-C Senkung. Die Tagestherapiekosten für Rosuvastatin liegen mit 0,15€ (Dez. 2022, für ungeteilte Tabletten) unter den Preisen der meisten Nahrungsergänzungsmittel. Weiterhin unterliegen Nahrungsergänzungsmittel nicht den Qualitätskontrollen von Arzneimitteln: Die genauen Inhaltsstoffe und die Sicherheit einer langfristigen Einnahme sind unbekannt. Die Verträglichkeit von Rosuvastatin in der SPORT-Studie war auf Placebo-Niveau und numerisch besser als mit Knoblauch, Pflanzen-Sterolen und rotem Reis.

Zwei weitere Themenkomplexe sind im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln über die SPORT-Studie hinaus von übergeordneter Bedeutung: die Effekte auf die Medikamenten-Einnahmetreue und auf die Akzeptanz wirksamer Therapien zur Cholesterin-Senkung.

Die Anzahl der Tabletten pro Tag – unabhängig vom Inhalt – korreliert invers mit der Medikamenten-Einnahmetreue. Jede zusätzliche Kapsel oder Tablette kompromittiert die Tabletten-Einnahme bei chronischen Therapien. Daher erhöhen unwirksame Präparate das Risiko einer verminderten Adhärenz zu prognostisch wirksamen Pharmaka.

Die Regulation der LDL-Cholesterin-Konzentration im Serum erfolgt über die LDL-Rezeptoren der Leberzellen und ist zu wesentlichen Anteilen genetisch determiniert. Vitamine, „Spurenelemente” und ähnliche vermeintlich „gesunde” Nahrungsbestandteile haben keinen Einfluss auf LDL-C. Der mögliche Effekt einer Reduktion des Cholesterin-Gehaltes der Nahrung auf den Serum-Cholesterinspiegel –dies ist natürlich nicht durch Nahrungsergänzung, sondern nur durch Nahrungsreduktion erreichbar – richtet sich nach dem Ausgangszustand. Eine Effektivität kann bei deutlicher Kalorienreduktion und vorbestehender Fehlernährung („Leben aus der Fritteuse”) messbar werden. Bei Personen mit normalem Körpergewicht und normaler Ernährung haben diätetische Maßnahmen keinen relevanten Effekt auf das LDL-C. Die Heilsversprechen der Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel-Industrie senden daher eine falsche Botschaft. Die Projektion der Falschinformation zu den Effekten von Ernährung auf wirksame pharmazeutische Strategien könnte eine wesentliche Ursache für die gegen alle Evidenz weiter virulenten Ansichten zu einer vermeintlichen „Cholesterinlüge” darstellen. Diese falsche Perzeption wird durch den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln verstärkt und perpetuiert.

Was können wir lernen? Die enorme Popularität von Nahrungsergänzungsmitteln spiegelt das Bedürfnis nach Selbstbefähigung (“Empowerment”) wieder. Neben dem hohen Aufklärungsbedarf zu diesem Thema liegt hier eine Chance für Ärzt*innen, diese Motivation der Betroffenen auf wirksame Maßnahmen zur Gesundheitserhaltung zu lenken, zum Beispiel über ein Rezept für Bewegung.



Publication History

Article published online:
07 February 2023

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