Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(07): 363-364
DOI: 10.1055/a-1932-1504
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Enoxaparin beugt wirksamer venösen Thromboembolismen vor als Acetylsalicylsäure“

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    10.1055/a-1932-1470

    Die venöse Thromboembolie (VTE) mit ihren Manifestationen der tiefen Venenthrombose (TVT) und der potenziell lebensbedrohlichen Lungenembolie (LE) ist ein häufiges akutes kardiovaskuläres Ereignis mit hoher Morbidität und Mortalität [1]. Traumata, Frakturen insbesondere der unteren Extremität, große chirurgische Eingriffe inklusive Gelenkarthroplastien stellen wichtige Risikofaktoren für eine VTE dar [1] [2]. Insbesondere haben Patientinnen und Patienten, die sich einer Hüft- oder Knie-Total-Endoprothesen-Operation (TEP) unterziehen müssen, trotz pharmakologischer prophylaktischer Antikoagulation (VTE-Prophylaxe), ein deutlich erhöhtes Risiko, ein VTE-Ereignis zu entwickeln [1] [3] [4]. Ohne VTE-Prophylaxe liegt das Risiko bei operierten Patienten in Screening-Untersuchungsstudien für eine TVT bei 45–57 % und für eine LE bei 0,7–30 % [2]. Die Empfehlungen der aktuellen Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften zu der medikamentösen VTE-Prophylaxe nach Knie- und Hüft-TEP-Operationen sind jedoch uneinheitlich und teilweise sogar widersprüchlich [2] [5]. So empfiehlt beispielsweise in Deutschland die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Gabe eines niedermolekularen Heparins (NMH), Fondaparinux oder eines Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAC) in prophylaktischer Dosis für 11–14 Tage nach elektiven Knie-TEP- und für 28–35 Tage nach Hüft-TEP-Operation [5]. Während die AWMF-Leitlinie von der Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) als VTE-Prophylaxe wegen schwacher Wirksamkeit grundsätzlich abrät [5], wird diese ASS-Therapie in Großbritannien vom National Institute of Health and Care Excellence (NICE) [6] und in den USA vom American College of Chest Physicians (ACCP) und the American Association of Orthopaedic Surgeons (AAOS) [3] [4] [7] als eine der Therapieoptionen in den jeweiligen Leitlinien empfohlen. Die Empfehlung der ACCP- und ACOS-Leitlinie sieht sogar ASS als gleichwertige Therapieoption im Vergleich zu prophylaktischer NMH- und NOAC-Behandlung zur Verhinderung von perioperativen VTE-Ereignissen vor [3] [4] [7]. Ergebnisse randomisierter großer Studien zum Vergleich einer ASS-Monotherapie zu NMH als eine postoperative VTE-Prophylaxe nach Hüft- und/oder Knie-TEP-Operationen fehlen weitestgehend. Für diese Fragestellung führte die CRISTAL-Studiengruppe eine prospektive, clusterrandomisierte Studie (CRT) durch. Als Stärke der Studie ist zu nennen, dass mehr als 5000 Patienten mit Hüft- oder Knie-TEP-Operation mittels ASS und mehr als 4000 Patienten in der Vergleichsgruppe mit Enoxaparin prophylaktisch behandelt wurden. Der Zeitraum der prophylaktischen Medikamentengabe entsprach mit 14 Tagen nach Knie-TEP und 35 Tagen nach Hüft-TEP der Empfehlung der AWMF-Leitlinie aus Deutschland [5]. Die Studie zeigte, dass die prophylaktische Behandlung mit Enoxaparin der Monotherapie mit ASS in Hinblick auf die VTE-Rate 90 Tage nach der Operation überlegen war (1,82 % versus 3,45 %; 95 % Konfidenzintervall 0,54–3,41 %). Als eine Limitation der Studie ist zu nennen, dass die an der Studie teilnehmenden Krankenhäuser und nicht die einzelnen Patienten auf eine der Therapieoptionen randomisiert wurden. Das Ergebnis der CRISTAL-Studie steht scheinbar im Widerspruch zur etwas kleineren Studie von Anderson et al. [8], welche eine Nicht-Unterlegenheit der ASS-Prophylaxe im Vergleich zu Rivaroxaban zeigte [8]. Allerdings wurde in der Studie von Anderson et al. [8] mit 3424 eingeschlossenen Patienten zu Beginn über 5 Tage in beiden Studiengruppen eine Therapie mit Rivaroxaban durchgeführt und erst ab Tag 6 der VTE-Prophylaxe in der Interventionsgruppe auf die ASS-Studienmedikation gewechselt, während in der Kontrollgruppe Rivaroxaban weiter eingenommen wurde [8]. Aufgrund des unterschiedlichen Studiendesigns sind daher beide Studien schwer zu vergleichen.

    Das Ergebnis der CRISTAL-Stude kann auf zukünftige Leitlinienempfehlungen zur VTE-Prophylaxe Einfluss haben. Trotzdem sind weitere Anstrengungen nötig, um auch hinsichtlich der adäquaten Dauer der Antikoagulation zur VTE-Prophylaxe nach Knie- und Hüft-TEP-Operationen mittels großer randomisierter, verblindeter Studien weitere Klarheit zu schaffen.



    Publication History

    Article published online:
    20 March 2023

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    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

     
    • Literatur

    • 1 Konstantinides SV, Meyer G, Becattini C. et al. ESC Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 2020;
    • 2 Keller K, Hobohm L, Barco S. et al. Venous thromboembolism in patients hospitalized for hip joint replacement surgery. Thromb Res 2020; 190: 1-7
    • 3 Johanson NA, Lachiewicz PF, Lieberman JR. et al. American academy of orthopaedic surgeons clinical practice guideline on. Prevention of symptomatic pulmonary embolism in patients undergoing total hip or knee arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 2009; 91 (07) 1756-1757
    • 4 Falck-Ytter Y, Francis CW, Johanson NA. et al. Prevention of VTE in orthopedic surgery patients: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest 2012; 141 (02) e278S-e325S
    • 5 Encke A, Haas S, Kopp I. et al. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement. 2015
    • 6 Venous thromboembolism in over 16s: reducing the risk of hospital-acquired deep vein thrombosis or pulmonary embolism. www.nice.org.uk/guidance/ng89 National Institute for Health and Care Excellence; 2018 [updated 21.03.2018.
    • 7 Anderson DR, Morgano GP, Bennett C. et al. American Society of Hematology 2019 guidelines for management of venous thromboembolism: prevention of venous thromboembolism in surgical hospitalized patients. Blood Adv 2019; 3 (23) 3898-3944
    • 8 Anderson DR, Dunbar M, Murnaghan J. et al. Aspirin or Rivaroxaban for VTE Prophylaxis after Hip or Knee Arthroplasty. N Engl J Med 2018; 378 (08) 699-707