Zusammenfassung
Die Wertepluralität gilt mittlerweile als konstitutive Eigenschaft der modernen Gesellschaften.
In diesen Gesellschaften gehört das transkulturelle Arzt-Patienten-Verhältnis in der
medizinischen Praxis zur Alltagserfahrung. Kulturell geprägte Wertvorstellungen können
heute zu einer differenziellen Bestimmung der normativen Begriffe „Gesundheit” und
„Krankheit” führen und somit fundamentale Unterschiede bei der Beurteilung von Behandlungszielen
und Fragen einer angemessenen medizinischen Versorgung entstehen lassen. Deswegen
stellen kulturbedingte Interessenkonflikte medizinisches Entscheiden und Handeln vor
neue Herausforderungen.
In der medizinischen Praxis lässt sich immer wieder feststellen, dass es zwischen
kultureller Differenz und Komplexität der medizinethischen Konflikte eine gewisse
Korrelation gibt. Dies wird insbesondere in der Begegnung von muslimischen Patienten
und nicht-muslimischen Ärzten deutlich. Im vorliegenden Beitrag werden Schlüsselbegriffe
dieser Begegnungen wie Kommunikation, Schamgefühl, religiöse Pflichten und medizinische
Entscheidungen am Lebensende mit ihren medizinethischen Implikationen diskutiert und
anhand von Beispielen konkretisiert. Im Anschluss werden einige medizinethische Thesen
zur wertpluralen medizinischen Praxis vertreten.
Abstract
In today’s world, the plurality of values is considered to be a constitutive feature
of modern societies. In these societies, transcultural patient-physician relationships
are a part of daily medical practice. Culturally determined value systems can be crucial
for understanding the perception of notions such as „health” and „illness”, leading
to fundamental differences in assessing medical interventions and therapeutic objectives.
Therefore, transcultural conflicts of interest are presenting medical ethical decision-making
with new challenges.
Time and again, medical practice demonstrates that cultural differences between physician
and patient are correlated with the complexity of medical ethical conflicts, as can
be seen in the relationship between Muslim patients and non-Muslim physicians in the
German health care system. This paper discusses some of the central issues in these
relationships like communication, sense of shame, religious duties, and medical end-of-life
decisions, analyzing some concrete cases. Subsequently, a number of medical ethical
theses relevant for multicultural societies will be discussed.
Schlüsselwörter
Transkulturelle Medizinethik - Interkulturelle Kommunikation - Muslimische Patienten
- Schamgefühl - Aktive und passive Sterbehilfe
Key words
transcultural medical ethics - intercultura communication - muslim patients - sense
of shame - active and passive euthanasia
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