DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2008; 6(01): 6-7
DOI: 10.1055/s-2008-1058048
Science
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Über das mechanische Verhalten elastischer Arterien

Ralf Vogt
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Publication Date:
13 February 2008 (online)

Kommentar

Was kann die Osteopathie, oder besser: was lässt sich durch eine osteopathische Behandlung therapeutisch erreichen? Das ist wohl die Kernfrage, die Patienten zuallererst interessiert. Das ist die Frage, die sich jeder immer wieder stellt und auch stellen sollte, der als Osteopath praktiziert. Und damit steht diese Frage natürlich auch im Zentrum des Interesses, wenn es um wissenschaftliche Aktivitäten in diesem Bereich geht.

„Das Überleben der Osteopathie wird auf lange Sicht davon abhängen, ob sie in der Lage ist, sich selbst als unterschiedlich und gleichzeitig äquivalent zur allopathischen Medizin zu definieren. Diese Argumentation ist am besten nicht auf theoretischer Ebene zu führen, sondern indem die Ergebnisse der Behandlung dargestellt werden”, schrieb dazu z.B. Joel D. Howell in einem Letter im New England Journal of Medicine . [6]

Da geraten andere, grundsätzlichere Fragen gerne in den Hintergrund (um nicht zu sagen ins Abseits). Auch ich, das gebe ich zu, bin manchmal in Gefahr, von diesem Virus infiziert zu sein: schließlich wird mein Teewasser ja auch nicht schneller heiß, wenn ich weiß, was der Strom im Tauchsieder macht...

Umso wertvoller ist da eine so sorgfältige Grundlagenstudie wie die von Ralf Vogt, von der er freundlicherweise eine Zusammenfassung für die Leser der DO verfasst hat. Über die konkrete Fragestellung hinaus lassen sich eine ganze Reihe von Gedanken knüpfen.

Nicht zum ersten Mal stellt eine Analyse der anatomischen Literatur fest, dass „ältere anatomische Autoren weit genauere Beschreibungen lieferten”. Zu Zeiten, als man sich noch nicht so ganz klar war über Zweck und Funktion einzelner Strukturen, wurden sie eben so komplett wie möglich beschrieben. Sobald man beginnt, Strukturen durch die Brille eines vordefinierten Modells zu betrachten, blendet unser Gehirn weitgehend alles aus, was für das Modell „irrelevant” ist (ich kenne das vom Fotografieren, wenn auf einem Bild immer wieder Dinge erscheinen, die ich selbst nicht wahrgenommen hatte).

Dann sollten wir bei Beschreibungen anatomischer Strukturen immer vor Augen haben, dass aus technischen Gründen topografische und funktionelle Anatomie zwei Welten sind. Fixierte Präparate (und das ist der Normalfall für den Anatomen) erlauben eine einigermaßen korrekte Lagebeschreibung (falls die Struktur nicht zu sehr durch die Fixierung gelitten hat oder gar nicht erst als „Struktur” erkannt wurde), lassen aber zur Frage der Funktion oft nur Spekulationen zu. Und die sind wieder, siehe oben, wesentlich beeinflusst durch das schon vorab zu-grunde gelegte Modell. Neue Möglichkeiten eröffnen sich da künftig sicherlich durch die funktionelle Kernspintomografie, Geräte, die schnell genug sind, Bewegungen unterschiedlicher Strukturen festzuhalten. Nur sind diese Geräte noch rar, da extrem teuer, und deshalb meist für andere Fragestellungen ausgebucht als die, die osteopathische Erkenntnisse liefern würden. Bleibt allerdings noch die Möglichkeit, auf solchen, vorhandenen Aufnahmen die osteopathisch relevanten Strukturen, ihre Mobilität und Funktion als „Nebenprodukt” zu studieren.

Schließlich hat die Arterie aus osteopathischer Sicht besondere Bedeutung (vgl. Still's „rule of the artery”). Dabei kommt mir ein Zitat von Dr. James McGovern, dem Präsidenten der A.T. Still University in Kirksville in den Sinn. Er bestand nach eigenen Angaben, als er einige Originalschriften von Still, Sutherland und anderen aus seiner historischen Bibliothek zum Nachdruck freigab auf der Feststellung, „dass diese Bücher aus historischen Gründen neu aufgelegt würden, aber nicht in der Absicht, als klinische Anleitung zu fungieren”. Und er fügte hinzu: „Unglücklicherweise gehen manche mit diesen Büchern um als wären sie eine religiöse Quelle der Wahrheit statt alle osteopathischen Erkenntnisse als Befunde zu betrachten, die einer weiteren Verbesserung durch kontinuierliche empirische Studien bedürfen”. Ralf Vogt nennt einige dieser Erkenntnisse in Bezug auf die Arterie. Tatsächlich haben Angiologen, Rheologen, Endokrinologen, Kardiologen, Chirurgen, Physiologen und Pathologen vieles beigesteuert zum besseren Verständnis der Arterie. Was fehlt, ist die ganzheitliche Betrachtung. Vielleicht bietet sich hier ein spannender moderner Ansatz für die Osteopathie - zu dem die vorgestellte Arbeit einen bemerkenswerten Beitrag liefern könnte.

K. L. Resch

 
  • Literatur

  • 1 Vogt R. Systematische Analyse der anatomischen Verbindungen der cranialen Gefäßabgänge des Aortenbogens mit Strukturen der oberen Thoraxapertur sowie der experimentellen Überprüfung ihrer mechanischen Abhängigkeit (Diplomarbeit). Gauting: Akademie für Osteopathie; 2007
  • 2 Bandmann HJ, Frey KW. Acta anat 1955; 24: 103-117
  • 3 Roncada G. Untersuchungsresultate der Herzmobilität durch dreidimensionale Observation. Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2005; 1: 8-9
  • 4 Carr JC, Ma J, Desphande V et al. High-resolution breath-hold contrast-enhanced MR angiography of the entire carotid circulation. Am J Roentgenol 2002; 3: 543-9
  • 5 Beller CJ, Labrosse MR, Thubrikar MJ, Robicsek F. Role of aortic root motion in the pathogenesis of aortic dissection. Circulation 2004; 17: 763-9
  • 6 Howell JD. The Paradox of Osteopathy. N Engl J Med 1999; 341: 1465-1465