DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2008; 6(01): 4-5
DOI: 10.1055/s-2008-1058047
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit...Melicien Tettambel

Marina Fuhrmann
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Publication Date:
13 February 2008 (online)

Wie kamen Sie zum ersten Mal mit der Osteopathie in Berührung?

Es war ein großer Zufall. Ich war auf dem College in Illinois, 63 Meilen östlich von Kirksville, und hatte in einem Seminar die Aufgabe, eine Arbeit zur Ethik in der Medizin zu verfassen. Mein Lehrer sagte zu mir, dass es in Kirksville eine Art Schule gäbe, die ich mir einmal ansehen sollte. Ich rief also dort an, bat um ein Interview und man kam meiner Bitte nach. Der Dekan nahm mich in sein Büro und begann mir Fragen zu stellen. Ich fragte ihn, was er da mache, und er sagte, dass er mich interviewe. Ich sagte: „Nein, ich wollte Sie interviewen!”.

Ich interviewte ihn also über seine Schule und schrieb meine Arbeit. Nach meinem Abschluss ging ich auf die Uni. Inzwischen hatte ich mehr über Kirksville erfahren und Bewerbungsunterlagen von dort erhalten. Auf der Uni wurden die Gelder knapp, sodass ich mir Gedanken um meinen Studienplatz und meine weitere Finanzierung machen musste. Ich dachte mir, dass wenn ich nach Kirksville gehen und dort meinen Abschluss machen würde, ich wahrscheinlich einen Job fände. Ich füllte die Unterlagen aus und musste zu einem neuen Interview. Man nahm mich auf und nun bin ich hier. Jetzt bin ich sehr glücklich, einen Schutzengel gehabt zu haben, der mich nach Kirksville geführt hat.

Wer hat Sie osteopathisch am meisten beeindruckt?

Edna Lay, eine Studentin von Sutherland. Sie war in Kirksville, wo es nur sehr wenige Professorinnen gab. Sie arbeitete in der osteopathischen Abteilung. Ich begann dort mit der Vorstellung, dass das nichts für mich sei, weil ich das alles nicht glauben konnte. In Missouri sagt man „Zeig's mir!”. Und wenn ich etwas nicht sehen kann, glaub ich es auch nicht. Und sie sagte immer: „Komm her, das musst du dir ansehen”. Ich konnte kaum glauben, was ich alles sah. Paul Kimberley leitete die Abteilung und kam oft vorbei und sagte: „Möchtest du dieses sehen, möchtest du jenes sehen?” Beide fragten mich, ob ich nicht dort studieren wollte. Das war eine gute Entscheidung, weil ich auf diese Weise mehr Erfahrungen sammeln konnte und mehr Zeit mit Kimberly und Lay verbrachte. Ich glaube, die beiden dachten, ich würde sofort eine Praxis für osteo-pathische Manipulationen eröffnen. Aber ich tat es nicht. Ich absolvierte meine klinische Phase und ging in Richtung Gynäkologie und Geburtshilfe. Ich glaube, sie war zunächst enttäuscht, doch dann schrieb sie mir einen Brief, in welchem sie mich an die verschiedenen Techniken erinnerte, mit denen Frauen oder Babys behandelt werden. Das war alles sehr hilfreich.

Wie arbeiten Sie heute? Besteht ein großer Unterschied zu Ihrer Arbeit früher?

Ja, denn ich glaube, ich wurde einfach zu müde, um jede Nacht aufzustehen und Kinder zur Welt zu bringen. Ich wollte mehr unterrichten und ich wollte mehr Osteopathie in die Gynäkologie einbringen. So blieb ich in meiner gynäkologischen Praxis. Ich wollte mehr und mehr manipulativ arbeiten, weil ich der Überzeugung bin, dass viele Frauen unnötig operiert werden. Sie haben sich einer Hysterektomie unterzogen mit der Vorstellung, dass damit ihre Schmerzen beseitigt würden, aber das war nicht immer der Grund ihrer Schmerzen. Und es gibt Frauen, die aufgrund ihrer Schwangerschaft unter Schmerzen leiden.

Was halten Sie von OMT?

Ich glaube, dass OMT-ler (Anm. d. Red.: manuell arbeitende Osteopathen in den USA) Schwangeren viel Hilfe anzubieten haben, weil andere Ärzte mit der Gabe von Paracetamol, Acetylsalicylsäure oder anderen Schmerzmitteln wegen dem Baby zurückhaltend sind. Und nach der Geburt sagen die Frauen dann: „Ja, es war eine schwere Geburt” oder „seit ich das Baby bekam, habe ich diese Schmerzen oder dieses Problem”. Manche dieser Patientinnen haben dann andere Ärzte konsultiert usw. und wurden mit der Zeit ziemlich frustriert und sagten: „Ich will einfach nur die Schmerzen loswerden.” Mir hat es Freude bereitet, weil die Ursache oft ein eindeutig mechanisches Problem sein konnte - manchmal leicht zu beseitigen und manchmal auch nicht - aber es war stets sehr befriedigend, wenn gesagt wurde: „Wissen Sie eigentlich, wie lange ich schon nach einer Linderung gesucht habe und nichts hat geholfen und heute geht es mir viel besser”, oder „ich würde gerne dabei bleiben, kann ich mehr Behandlungen bekommen?” Es ist großartig, Menschen wieder die Kontrolle über ihr Leben zurückzugeben, denn diese Frauen haben Schmerzen und fühlen sich nicht wohl. Aber sie können nicht sich einfach frei nehmen und Ruhe gönnen. Denn sie haben einen Partner, ein Baby, vielleicht weitere Kinder und einen Job. Sie brauchen also ihren Schlaf und müssen für ihre Familien, für sich selbst und ihre Arbeit funktionieren. Deshalb scheint OMT die beste Methode zu sein, um jemanden mit möglichst geringen Nebenwirkungen oder Komplikationen zu behandeln. Ich habe lange gebraucht um herauszufinden, dass es soviel Sinn macht.

Sie begannen in Kirksville und sind jetzt wieder dorthin zurückgekehrt. Was ge-schah dazwischen? Sind Sie zufrieden?

Es ist keine Frage von Zufriedenheit. Ich bin von Natur aus neugierig und rastlos. Ich bin mit einem Mann verheiratet, der ebenfalls akademisch und intellektuell rastlos ist. Er ist Internist, deshalb ist es lustig mit jemandem zusammen zu sein, dessen Denken sich um Tests, Evaluationen, Analysen dreht, sehr kopflastig und sehr praktisch. Er ist dafür mit jemandem verheiratet, für den es immer darum geht „kann ich das fühlen, kann ich das sehen, kann ich das anfassen?”

Hier in Kirksville ist es ländlich, bäuerlich und es spricht eine bestimmte Art von Menschen an. Weil ich neugierig bin, fand ich während meiner Ausbildung und in der Begegnung mit verschiedenen Menschen Chicago faszinierend. In Kirksville hört man jemanden sagen: „Mein Opa hat eine Farm” oder „einen Laster”. In Chicago hört man so etwas nicht. Dort gibt es einfach nur Stress, Stress, Stress und die Leute sind immer beschäftigt. Es ist ein ganz anderer Rhythmus, eine andere Sichtweise. Sie bestehen nur aus Papier, Stift und Computer.

In Kirksville gibt es Farm-Stress. Man nennt es anders, aber es ist trotzdem Stress. Man versteht die Probleme, die Menschen haben, die Nahrung für einen anbauen. Und wenn ich nicht ihren Rücken in Ordnung bringe, werde ich in diesem Sommer vielleicht nicht so viel Mais auf dem Teller haben. Es ist interessant zu sehen, dass Menschen, die Rückenschmerzen aufgrund ihrer sitzenden Arbeit oder den langen Bus-, Zug- oder Flugreisen haben, die gleichen sind, wie jene, die vom Pferd fallen, ihren Einspänner fahren, an ihrem Traktor kurbeln oder die Äcker pflügen.

Es ist immer schön, nach Hause zu kommen und den Himmel zu betrachten. In Chicago ist es schwer die Sterne zu sehen, aber es ist toll sich das Hancock-Building und die hellen Lichter anzusehen, Konzerte oder die Symphonie zu besuchen, die Museen oder Lesungen.

In Kirksville kann man das Gerichtsgebäude besuchen und jemanden auf dem Banjo spielen hören und wenn man richtig was erleben will, geht man auf einen Garagenflohmarkt oder eine Viehauktion.

Es geht also um die Fähigkeit, sich in die verschiedensten Menschen hineinzuversetzen. Ich denke, dass das sehr wichtig ist, um den Menschen helfen zu können.

Können Sie uns etwas über Ihre Familie erzählen?

Meine Wurzeln liegen in Deutschland. Die Familie meines Vaters stammt aus Österreich-Ungarn und lebte in Elsass-Lothringen. Meine Großmutter väterlicherseits hieß Messmer, was ein ziemlich deutscher Name ist. Meine Mutter stammt aus Kanada, ihr Vater war Pole und ihre Mutter Irin. Es fehlt mir also noch etwas Japanisches und Afrikanisches, aber vielleicht kümmern sich mein Bruder oder meine Nichten und Neffen darum.

Was machen Sie so neben Ihrer Arbeit und den Patienten?

Mein Hobby ist es weiterhin mit einem Mann verheiratet zu sein, der mich unterstützt und den gleichen Sinn für Humor hat wie ich. Wir sehen beide gerne Filme, um uns daran zu erfreuen, wie Kunst das Leben imitiert und umgedreht. Es ist leicht, in eine andere Welt zu flüchten und für eine oder zwei Stunden zu lachen. Danach kümmert man sich wieder um Schmerzen, Stress, Erziehung und andere Defizite unseres Berufslebens. Lustige Filme und Bücher helfen dabei, die Grenzen von Alter, Geschlecht, Kultur und Zeit zu erforschen - sie verbessern außerdem die Konversation mit Bekannten.

Ich versuche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, um neue Ideen kennen zu lernen und zwar sämtliche Arten von Ideen, nicht nur die, die sich um die Arbeit drehen.

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Abb. 1 Melicien Tettambel, D.O. FAAO über sich selbst: „Ich habe mein Leben dafür eingesetzt, eine „echte” Osteopathin zu werden - durch Anatomie, Physiologie und die Anwendung einer palpatorischen körperlichen und strukturellen Diagnostik. Ich werde auch weiterhin die Funktion des menschlichen Körpers verehren, sei er gesund oder in einem anderen Zustand.”