Z Sex Forsch 2007; 20(2): 162-175
DOI: 10.1055/s-2007-960685
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rechtliche Aspekte der Intersexualität[1]

K. Plett1
  • 1Zentrum Gender Studies und Fachbereich 06 (Rechtswissenschaft), Universität Bremen
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Publication Date:
05 June 2007 (online)

Übersicht:

Die Autorin untersucht zunächst die juristischen Grundlagen der personenstandsrechtlichen Geschlechtszuordnung. Sie stellt die Notwendigkeit des Geschlechtseintrags in Geburtsurkunde und anderen amtlichen Dokumenten infrage und kritisiert die Reduktion der Eintragsmöglichkeiten auf die Dichotomie „männlich/weiblich”. Dann diskutiert sie die Rechtmäßigkeit operativer und anderer medizinischer Maßnahmen an intersexuell geborenen Kindern. Unter der Prämisse, dass Kinder von Geburt an eigenständige Rechtssubjekte sind, denen die Wahrnehmung von Rechten, sobald sie dazu in der Lage sind, nicht verwehrt werden darf, empfiehlt sie, solche Maßnahmen so lange aufzuschieben, bis die Betroffenen selbst darüber entscheiden können.

1 Ich bleibe bei dem Begriff „Intersexualität”, der in der Medizin lange verwendet worden ist und auch in der juristischen Literatur gebraucht wird. Außerdem wird der auf der Chicago Konsensus Konferenz 2005 eingeführte Begriff „Disorders of Sex Development (DSD)” von vielen Betroffenen als noch stärker pathologisierend als „Intersexualität” abgelehnt, was zu respektieren ist.

Literatur

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  • 9 Bundesverfassungsgericht .Beschluß des Ersten Senats vom 24.1.1995 (Az.: 1 BvL 18/93 und 5, 6, 7/94, 1 BvR 403, 569/94). BVerfGE Band 92: 91 („Feuerwehrabgabe”)
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1 Ich bleibe bei dem Begriff „Intersexualität”, der in der Medizin lange verwendet worden ist und auch in der juristischen Literatur gebraucht wird. Außerdem wird der auf der Chicago Konsensus Konferenz 2005 eingeführte Begriff „Disorders of Sex Development (DSD)” von vielen Betroffenen als noch stärker pathologisierend als „Intersexualität” abgelehnt, was zu respektieren ist.

2 Durchgeführt in der Datenbank juris mit den Suchbegriffen „intersex*” und „hermaphrodit*”. Letzterer produzierte zwei europarechtliche Dokumente zum Umgang mit Fleisch. Nur in diesem Bereich lieferte auch die Suche mit dem Begriff „zwitter*” Ergebnisse.

3 Europarechtsdogmatisch ist hier zwar unter dem Begriff der sexuellen Identität nur die sexuelle Orientierung zu verstehen, doch wäre nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu Transsexuellen auch jede Diskriminierung von Intersexuellen eine rechtswidrige Geschlechtsdiskriminierung. Das Merkmal „sexuelle Identität” enthalten im Übrigen die Gleichheitsartikel der Landesverfassungen von Brandenburg, Berlin und Bremen.

4 Hierzu und zu Regeln in anderen deutschen Staaten im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Duncker (2003: 253-295).

5 Zum Wandel des medizinischen Wissensstandes selbst vgl. u. a. Klöppel 2002.

6 Zum Beispiel die Wehrpflicht für Männer (hierzu: Bundesverfassungsgericht 2002 a und 2002 b), der Bergbau unter Tage als Beruf sowie Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft. Weitere Bereiche, die nach Geschlecht unterscheiden, wie getrennte Toiletten am Arbeitsplatz oder nach Geschlecht unterschiedene Bestenlisten im Sport (vgl. hierzu auch Greenberg 2003), könnten auch anders geregelt werden oder sind anders geregelt.

7 Zu einer Norm, die diese Tradition aufgreift aber nicht als Argument für die im Geburtenbuch möglichen Varianten von Geschlecht dienen kann, vgl. S. 166.

8 Es gibt aber mehrere auch höchstrichterliche Entscheidungen aus Kolumbien (in englischer Übersetzung nachgewiesen auf der Seite www.isna.org/legal vom 13.3.2007).

9 Diese Fragen hat sich z. B. Koch (1986) noch gar nicht gestellt.

10 Aus diesem Grunde ist mir die Schlussfolgerung von Rothärmel (2006: 277) auch unverständlich, dass wegen des Personenstandsrechts sogar eine Verpflichtung zu geschlechtszuweisenden Operationen bestehe.

11 Die Übermittlung personenbezogener Daten durch Fluggesellschaften an Behörden der USA war und ist unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten höchst umstritten. Ein Abkommen zwischen der EU und den USA, das diese Praxis sanktioniert, wurde 2006 vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für nichtig erklärt. An der Praxis hat sich dadurch nichts geändert. Die Liste der von den USA verlangten Daten ist auf der Webseite der Luftfahrtbundesamtes (www.lba.de) zu finden unter „Informationen für die Passagiere”.

12 Das Übereinkommen datiert vom 8. September 1976 und hat mittlerweile ein entsprechendes Abkommen von 1956 abgelöst. Der Wortlaut findet sich unter www.ciec-deutschland.de/cln_012/nn_866074/DE/Abkommen/abkommen16.html. Die Bundesrepublik Deutschland war dem früheren Abkommen 1961 und ist dem jetzigen 1997 beigetreten.

Dr. iur. K. PlettLL. M. 

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