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DOI: 10.1055/s-2006-942307
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Früherkennung auf Karzinome
Early Detection on CarcinomaPublication History
Publication Date:
21 November 2006 (online)
Es wird Grundsätzliches und Spezielles der Früherkennung auf Karzinome dargestellt. Das Grundsätzliche ist - mit gewissen Adaptationen - auf jegliche Früherkennung, also z. B. auch auf die in Bezug auf Diabetes, Toxoplasmose in der Schwangerschaft, Eisenspeicherkrankheit, Bauchaorten-Aneurysma, etc. übertragbar.
Grundlagen der Früherkennung auf Karzinome
Die Naturgeschichte eines Karzinoms
In Abb. [1]
Auf allen, zumindest aber auf allen frühen Stufen der „Karzinom-Pathogenese” kann die Kaskade der zellulären Entartung durch Abwehrmechanismen des Körpers unterbrochen und beendet werden, sodass es nicht zum klinisch manifesten Karzinom kommt. |
Nicht alle der in Abb. [1] angegebenen Entartungsstufen können mit den heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Mitteln überhaupt entdeckt werden. Damit ist dem Ansatz von Früherkennung eine Grenze in der zeitlichen Vorverlegung einer Diagnose - genannt Früherkennung - gegeben.
„Je früher, desto besser”?
Der Grundsatz von Früherkennung scheint in dem Satz zusammenfassbar: Je früher eine Diagnose gestellt wird, umso effektiver kann ein Karzinom bzw. können die Auswirkungen desselben verhindert werden. Hierfür wird angeführt: Frühe Herde von Krebs lassen sich total entfernen, in der frühen Phase gibt es keine Metastasierungen. Dies aber setzt voraus, dass Krebs eine lokale Erkrankung ist - was aber zumindest für einen Teil der Karzinome heute bezweifelt werden muss. Und es setzt voraus, dass Handeln in der frühen Phase einer Karzinomentstehung unproblematisch, d. h. ohne Nebenwirkungen ist.
Betrachtet man aber die in Abb. [1] dargestellte formale Naturgeschichte des Karzinoms, dann fällt in diesem Zusammenhang mehrerlei Problematisches auf [15]:
Sehr früh entdeckte Tumoren werden möglicherweise aggressiv behandelt, obwohl sie der Körper alleine in den Griff bekommen hätte. |
In der Früherkennung entdeckte und behandelte Tumoren wären eventuell aufgrund anderer biologischer Gegebenheiten, z. B. der Lebenserwartung eines Menschen, ohne Folgen geblieben. |
Man sollte also die Naturgeschichte eines Karzinoms sowie die biologischen Bedingungen von Menschen kennen, die mittels Früherkennung untersucht werden sollen, bevor man ein Programm installiert. Denn es gibt auch Probleme damit, dass man „zu früh” mit der geplanten Früherkennung tätig wird. Umgekehrt aber ist es auch so, dass man mit Früherkennung „zu spät” kommen und damit ebenfalls menschliches Leid auslösen kann.
Früherkennung lässt auch „zu spät” entdecken
Eine „Nebenwirkung” der Früherkennung sind früher gestellte Diagnosen ohne größere Therapiechance für die Patienten. |
Früherkennungsintervalle
Aus dieser Überlegung heraus sollten die Intervalle der einzelnen Früherkennungsuntersuchungen optimal gewählt sein. Sie sollten eng genug sein, um nicht zu viele Tumoren in zu später Phase zu entdecken. Intervalle können umgekehrt aber auch zu eng sein, nämlich dann, wenn darüber zu frühe Formen mit hoher Chance der „körpereigenen Abwehr” übermäßig häufig erfasst werden.
Je nach Naturgeschichte des jeweiligen Tumors sind unterschiedliche Früherkennungsintervalle sinnvoll. |
Die Sicherheit von Früherkennungstests
Screeningtests sind oft relativ sensitiv, erfassen also einen hohen Prozentsatz der Kranken. Häufig sind sie aber weniger gut in ihrer Spezifität, d. h. es werden auch relativ viel Gesunde fälschlich als krank identifiziert. |
Sicherheit der Vorhersage bei krankhaftem Befund
Ob ein positives Ergebnis wahrscheinlich richtig- oder wahrscheinlich falsch-positiv ist hängt davon ab, wie häufig die Erkrankung auftritt, auf die untersucht wurde. |
Selbst Tests, die eine hohe Spezifität und Sensitivität haben sind meist mehrheitlich falsch-positiv, da im Screening häufig nach seltenen Erkrankungen gesucht wird. Die positive prädiktive Wertigkeit ist also gering. |
Screeningbefunde haben also - wie man es nennt - eine geringe positive prädiktive Wertigkeit in Bezug auf das wirkliche Vorliegen einer gesuchten Erkrankung. Z. B. ist bei der Screening-Mammographie von 10 pathologischen Befunden nur einer - dann geklärt über Abklärungsdiagnostik - wirklich Hinweis auf ein Karzinom. Die zu erwartende Häufigkeit eines Befundes (Prävalenz) stellt bei der Diagnostik im Rahmen von Früherkennung das größte Problem dar. Selbst Untersuchungen (Tests), die eine hohe Spezifität und Sensitivität haben - letzteres ist hierfür weniger wichtig - sind meist mehrheitlich falsch-positiv [1].
Notwendigkeit besonderer Diagnostikfähigkeiten bei der Früherkennung
Diagnostische Tests sind besonders sicher, wenn es um die Unterscheidung zwischen eindeutig krank und eindeutig gesund geht. Bei sehr frühen Stadien ist die Grenze dazwischen jedoch fließend. |
Nutzen von Krebsfrühererkennung
Für nur sehr wenige Früherkennungen ist ihr Nutzen durch ausreichende, methodisch gute Studien belegt, etwa das Mammographie-Screening oder den Hämocculttest. |
Für die meisten Früherkennungen auf Karzinome gibt es keinen Nutzennachweis. |
Keinen Nutzen hat bei Vorliegen guter methodischer Studien die Früherkennung auf Bronchialkarzinom mittels Röntgenuntersuchung. Nur bei 4-monatigem Röntgen in Hochrisikogruppen von Rauchern über dem 45. Lebensjahr scheint ein Nutzen vorzuliegen. Allerdings ist diese Häufigkeit der Untersuchungen auch zugleich Limitierung für deren Anwendung im Rahmen von Screening. Die Früherkennung mittels Spiral-Computertomographie auf Bronchialkarzinom erscheint vielversprechend, jedoch ist sie als Früherkennungsprogramm sehr aufwändig und teuer. Auch hier liegen keine Nutzenstudien in Bezug auf eine Verbesserung in der Mortalität am Bronchialkarzinom vor.
Größenordnung des Nutzen
Der relative Nutzen liegt bei allen den meisten Früherkennungsmaßnahmen zwischen 20 und 30 %, der absolute Nutzen ist dagegen gering. |
Vor Durchführung einer Früherkennung sollten die Patienten über den absoluten Nutzen und mögliche Nebenwirkungen derselben aufgeklärt werden und ausreichend Zeit bekommen, sich die Teilnahme zu überlegen. |
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Der Nutzen - der absolute Nutzen für den einzelnen Teilnehmer - ist eher gering.
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Der Schaden von Früherkennung ist aber - als absoluter Schaden - zahlenmäßig deutlich größer. Allerdings steht hier nicht lebensbedrohlicher Schaden gegen lebenserhaltenden Nutzen (s. folgender Absatz).
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Wir haben es bei Früherkennung mit Gesunden zu tun - zumindest in Bezug auf die in der Früherkennung gesuchte Erkrankung. Hier sind immer, ähnlich wie bei Impfungen, sehr strenge Maßstäbe zu Nutzen/Schadens-Relation und Aufklärung darüber gefordert.
Schaden von Früherkennung
In Tab. [3] ist am Beispiel des Mammographie-Screenings und der größten hierzu vorliegenden randomisierten Studie, einer aus Schweden, der Nutzen dem Schaden gegenüber gestellt. In Abb. [2] ist zudem ein Überblick über die erklärenden Momente für den Schaden und den Nutzen gegeben.
Tab. 3 Mammographie-Screenings: Nutzen und Schaden (schwedische Studie) Art des Nutzens oder Aufwandes Auswirkungen pro 100 000 Frauenjahre pro verhütetem Krebstodesfall verhütete Brustkrebstodesfälle 6,2 - Verminderung von fortgeschrittenen Stadien (Stadium II-IV) 29 - Todesfälle an allen Ursachen 7 - Krebsfallzunahme durch Überdiagnose 52 8,4 Screening-Mammographien ca. 39 000 6 300 Krebsverdacht nach Screening-Mammographie ca. 1 500 250 Krebsverdacht nach Zusatzmammographie, Zytologie, Biopsie ca. 600 100 Frühentdeckung mit Verlängerung der Krankheitsphase ca. 180 30 Abb. 2 Mögliche Ergebnisse von Früherkennung.
Schaden durch Früherkennung entsteht durch Erkennung von Tumoren, die trotz früher Erkennung nicht besser therapierbar sind, von Präkanzerosen, die sich von selbst zurückgebildet hätten oder Karzinomen, die insofern irrelevant sind, als andere Ursachen zum Tod führen, bevor der Tumor zum Tragen kommt. |
Ärzte erleben mehr Nutzen, als aus Studiendaten zu erwarten ist
Jeder Arzt hat das Erlebnis, dass Patienten, bei denen Tumoren früh erkannt wurden, in der Tat eher geheilt erscheinen, d. h. länger leben, weniger von ausgeprägten Tumoren in der Folgezeit betroffen sind etc. Betrachtet man jedoch den in Studien nachweisbaren Nutzen von Früherkennung, so sind dies so seltene Ereignisse, dass man - insbesondere bezogen auf eine einzelne Praxis - diesen Nutzen kaum als erlebbar ansehen kann. Was erklärt diese Diskrepanz im Erleben? [1] [15] [16].
Vorverlegung der Diagnose (lead time bias) Wird ein Karzinom früher entdeckt, so erscheint die Überlebenszeit länger, auch wenn sich der Zeitpunkt des Versterbens des Patienten tatsächlich nicht verschiebt. In Abb. 3 ist schematisch dargestellt, wie sich ein Karzinom von Beginn (A) bis zu Beginn einer Symptomatik/eines Befundes (B) entwickelt. Bei C ist angegeben, ab wann es mit Mitteln der Früherkennung erkennbar wäre. Bei D dann führt es zum Tode. Nehmen wir an, ein Früherkennungsprogramm hat gar keinen Nutzen oder nehmen wir an, eine Früherkennung hat für einen bestimmten Patienten keinen Nutzen, dann gilt der 2. Teil der Abbildung: Es findet die Früherkennung (S) in der Phase zwischen B, der Erfassbarkeit mittels des Früherkennungsinstrumentes, und den ersten Symptome (C) statt, im Mittel wird es in der Mitte zwischen B und C sein. Aufgrund unserer Annahme fehlenden Nutzens als Programm oder für den einzelnen Patienten stirbt der Patient im 1. und 2. Teil der Abbildung zum gleichen Zeitpunkt (D). Vom Zeitpunkt seiner Früherkennungsdiagnose - also von S bis zu D - ist jedoch ein längerer Abschnitt als im ersten Teil der Abbildung: Hier lebt er mit der Diagnose nur für den Zeitraum C zu D, also kürzer. Dies entspricht unserem Eindruck als Arzt. Realiter aber lebt er - zumindest im Beispiel - genauso lange - nur können wir dies nicht „erleben”. Abb. 3 Vorverlegung der Diagnosestellung. Selektion der günstigen Verläufe (length time bias) Langsam wachsende Tumoren werden in der Früherkennung häufig bereits in präklinischen Stadien erfasst. Von Hause aus günstig verlaufende Tumoren werden so selektiert, und es entsteht der Eindruck, dass die Früherkennung die Lebenserwartung verlängert. Wir wissen, dass es zu jeder Krebslokalisation unterschiedlich schnell (aggressiv) wachsende Karzinome gibt. Dies ist vom Zelltyp, weiteren Tumoreigenschaften und den Abwehreigenschaften des jeweiligen Patienten abhängig. Langsam wachsende Tumore lassen den Menschen länger leben und weisen meist auch später Metastasierungen und andere Komplikationen auf. In der Abb. 4 ist ein langsam und ein schnell wachsendes Karzinom (langer und kurzer Strich = von Beginn des Entstehens bis zur Symptomatik Ende des Striches) dargestellt. Im dargestellten Modell sind dies im Zahlenverhältnis von 1 : 1 zueinander. Macht man nun zu bestimmten Zeitpunkten - häufig ja in 1- oder 2-jährigen Abständen - eine Früherkennungsuntersuchung, dann ist es logisch, dass man übermäßig viele langsam wachsende Tumore (lange Striche) noch in ihrer präklinischen Phase (also vor Symptomatik) erfasst. Man hat also bei jedem Screening von einer Selektion der eher günstig verlaufenden Tumoren auszugehen. Dies wiederum schlägt sich in der von uns erlebten längeren Lebenserwartung bei in Früherkennung erkannten Patienten nieder - selbst wenn die Früherkennung keinen Nutzen für den Patienten hätte. Abb. 4 Selektion der „gutartigen” Formen im Screening. Weitere Erklärungsansätze Früh entdeckte Fälle von Präkanzerosen, die sich von selbst zurückgebildet hätten, werden als Langzeitüberlebende nach Früherkennung wahrgenommen. Oben wurde dargestellt, dass bei jeder Krebsfrüherkennung auch Vorformen von Krebsen - große Polypen, Carcinoma-in-situ etc. - entdeckt werden, die sich nur zu einem Teil, meist zum geringsten Teil, zu einem Karzinom weiter entwickeln würden. Die Patienten mit diesen Vorformen wären dann meistens auch gar nicht am Krebs erkrankt und verstorben. Er wirkt aber auf den Betrachter als Langzeitüberlebender bei gestellter Krebsdiagnose.Systematische Früherkennungsprogramme
Unter systematischer Früherkennung versteht man eine Früherkennung, die in Bezug auf mehrere Faktoren nach bestimmten, vorher festgelegten, meist nach Sinn und Nutzen untersuchten Regeln erfolgt. Dies sind insbesondere:
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Intervalle der Untersuchung
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Definition der zu untersuchenden Bevölkerung (Anspruchsberechtigte)
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Methode und Art der Untersuchung und Befundung; Qualitätssicherung hierzu
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Festlegung, ob Doppelbefundung
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Qualitätssicherung
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Definition der Maßnahmen zur Abklärung von Verdachtsbefunden (Assessment).
Anders als in der kurativen Medizin ist für den einzelnen Arzt bei der Früherkennung keine „Rückkoppelung” bezüglich Nutzen oder Schaden über Erfahrungen zu erreichen. Um den Nutzen zu sichern, wird der optimale Ablauf daher auf Basis großer Studien in Form eines Programms genau festgelegt. |
Bei Abweichungen von den festgelegten Abläufen des systematischen Screenings ist der Nutzen desselben infrage gestellt. |
Systematische Früherkennung existiert in Deutschland bisher nur in Ansätzen. |
Früherkennungsmaßnahmen, die von der GKV aufgrund fehlenden Nutzennachweises abgelehnt wurden, können auch vom einzelnen Arzt nicht plausibel begründet werden. |
Literatur
- 1 Abholz H H. Bewertung von Krankheitsfrüherkennung und Prävention. In: Allhoff PG, Leidel G, Ollenschläger G, Voigt HP. Präventivmedizin Praxismethoden-Arbeitshilfen. Springer Loseblatt, Heidelberg 1999
- 2 Altenhofen L, Brenner G. 2. Jahresbreicht zur wissenschaftlichen Begleitung von Früherkennungskoloskopien in Deutschland. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 2005
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- 11 Nelson H D, Westhoff C, Piepert J,. et al .Screening of Ovarian Cancer. In: USPSTF 2004
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- 14 USPSTF .U.S. Preventive Services Task Force. Kostenloser, webbasierender Veröffentlicher der US-Regierung mit regelmäßigen Updates. www.ahrq.gov/clinic/uspstfix.htm
- 15 Welch G. Should I be tested for cancer?. University of California Press, Berkeley 2004
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Prof. Dr. med. H.-H. Abholz
Abteilung für Allgemeinmedizin · Universitätsklinikum Düsseldorf
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