Endoskopie heute 2006; 19(2): 144-145
DOI: 10.1055/s-2006-942115
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sedierung mit Propofol: Delegierung der Propofol-Sedierung an nicht-ärztliches Fachpersonal

Angleichung des klinischen Alltags mit der juristischen Grundlage? Kommentar zum DGVS-Rechtsgutachten von Ehlers und BitterEndoscopic Sedation with Propofol: Delegation of Propofol-Administration to Non-Physician StaffA. Riphaus1 , T. Wehrmann1
  • 1Medizinische Klinik I, Krankenhaus Siloah, Klinikum Region Hannover GmbH, Hannover
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Publication Date:
27 July 2006 (online)

Die Anwendung des ursprünglich nur durch Anästhesisten einsetzbaren Hypnotikums Propofol zur Sedierung bei endoskopischen Untersuchungen und Interventionen hat ab Mitte der 90er-Jahre eine weite Verbreitung im deutschsprachigen Raum [1], wie aber auch international [2], erfahren. Bei entsprechenden Umfragen wurde der Einsatz von Propofol bei 20 % der Screening-Koloskopien in der Bundesrepublik [3], sowie bei nahezu einem Viertel aller Untersuchungen in den USA [2] - mit großen regionalen Unterschieden - angegeben. Begründet wird dies durch die höhere erreichbare Sedierungstiefe, im Vergleich zur Anwendung von Bezodiazepinen/Opiaten, wobei dies jedoch nur bei interventionellen Eingriffen von Relevanz ist und der rascheren Aufwachzeit.

Ein Rechtsgutachten von Prof. Erwin Deutsch aus Göttingen im Oktober 1996 dokumentierte erstmals, das die vom BfArm erlassenen Auflagen für den Einsatz von Propofol auch durch fachärztliche Internisten (deren Ausbildung damals ja regelhaft eine intensivmedizinische Schulung beinhaltete) erfüllt werden können. Die tatsächliche Rechtssprechung hat sich in der Folgezeit ausnahmslos dem Ergebnis dieses Gutachtens angeschlossen. Vorausgesetzt wird freilich, dass der Patient nach den Regeln der Wissenschaft überwacht wird und für etwaige Zwischenfälle die notwendige persönliche und apparative Ausrüstung gegeben ist. Die Anwendungsbeschränkung des BfArm (gemäß AMG § 22, Abs. 1, Nr. 6) beinhaltet jedoch für den Einsatz in der Endoskopie, dass die Sedierung mit Propofol durch einen internistischen Facharzt erfolgen muss, der nicht in die endoskopische Untersuchung unmittelbar miteinbezogen ist, d. h. ein zweiter Facharzt ist neben dem Endoskopiker im Untersuchungsraum erforderlich. Die tatsächliche Rechtssprechung weicht überwiegend hier insofern ab, als das für den sedierenden Arzt an vorrangiger Stelle die intensivmedizinische Qualifikation und weniger der Facharztstandard erwartet wird (d. h. ein intensivmedizinisch ausgebildeter Nicht-Facharzt erscheint geeignet). Da die permanente Anwesenheit eines solchen geforderten zweiten Kollegen aufgrund des steigenden Kostendruckes (mit hieraus resultierendem Personalabbau) unter DRG-Bedingungen sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in der Klinik oft wenig praktikabel ist, ergibt sich unter Umständen eine deutliche Abweichung zwischen der klinischen Realität und der rechtlichen Situation, was im Falle von juristischen Auseinandersetzungen Probleme aufwirft.

Auf der anderen Seite konnte die Sicherheit einer solchen Vorgehensweise in einer Studie von Rex et al. [4] an insgesamt 36 743 Patienten aus zwei Zentren in den USA und Schweiz dargelegt werden (wo der rechtliche Hintergrund ein solches Vorgehen auch ermöglicht). In der genannten Studie, die allerdings nur auf die Niedrigdosis-Anwendung bei diagnostischen Untersuchungen reflektiert, bedurfte kein Patient einer endotrachealen Intubation [4]. Die Notwendigkeit einer kurzfristigen Maskenbeatmung wurde in 1 : 500 bis 1 : 1 000 Fällen angegeben [4].

Es stellt sich daher nun die Frage, inwieweit auch wir dem Beispiel anderer Länder hinsichtlich der Sedierung unserer Patienten durch entsprechend geschultes Assistenzpersonal unter rechtlichen Aspekten folgen können und dürfen. Um hier mehr Klarheit zu erzielen, wurde durch die DGVS ein entsprechendes Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Neben den allgemeinen Voraussetzungen, unter denen Propofol in der Praxis zum Einsatz kommen kann, sollte das Augenmerk insbesondere auf die Frage zielen, inwieweit die Delegierung der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal erfolgen kann.

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung dieser Fragestellung wurde durch die Gutachter Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers und Dr. iur. Horst Bitter zunächst zwischen zwei Konstellationen differenziert: Zum einen wurde untersucht, ob die vollständige Übertragung der Applikation von Propofol an nicht-ärztliches Assistenzpersonal - ohne Präsenz eines in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes - möglich ist.

Nachfolgend wurde erörtert, inwieweit eine teilweise Übertragung der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal - unter Gewährleistung der sofortigen Präsenz eines zweiten in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes - möglich ist.

Nach entsprechender Einsicht der einschlägigen Fachinformationen und der juristischen Literatur wird folgendes Zwischenergebnis zusammengefasst:

Die Anwesenheit eines Anästhesisten ist nicht zwingend erforderlich. Der Propofol-anwendende Arzt muss wenigstens intensiv-medizinische Erfahrung haben. Intensiv-medizinische Erfahrung ist definiert als die notwendige Kenntnis und Fähigkeit zur Wiederbelebung einschließlich der Sicherung der Oxygenierung durch Maskenbeatmung und der Atemwege mittels Intubation (sie kann für einen Internisten regelhaft dokumentiert werden durch die erfolgte intensivmedizinische Weiterbildung im Facharzt-Curriculum und/oder [besser] durch die Anerkennung als Arzt für Rettungsmedizin). Die Anwesenheit von zwei Ärzten wird empfohlen, wobei die Modalitäten - beispielsweise die Frage einer ständigen Präsenz - nicht geregelt ist.

Im Ergebnis raten die Gutachter davon ab, die Applikation von Propofol vollständig an nicht-ärztliches Assistenzpersonal ohne Präsenz eines in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes bzw. eines Anästhesisten zu übertragen.

Aufgrund der aktuellen medizinischen Literatur und der derzeitigen Rechtsprechung wird die teilweise Übertragung der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal unter Gewährleistung einer sofortigen Präsenz eines zweiten in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes oder eines Anästhesisten als möglich erachtet.

Unseres Erachtens sollte hier eine entsprechende Qualifikation des Assistenzpersonales, welches auch die Überwachung der Vitalparameter (Sauerstoffsättigung, Blutdruck und Herzfrequenz) übernehmen muss, zuvor in standardisierten, möglichst von unserer Fachgesellschaft zertifizierten, Trainingskursen erworben werden. Ein entsprechendes Curriculum wurde von uns bereits dem Beirat der Sektion Endoskopie vorgelegt.

Somit ermöglicht das neue Rechtsgutachten die Anwendung der Propofol-Applikation durch Assistenzpersonal in Krankenhausabteilungen und Gemeinschaftspraxen, wenn sichergestellt wird, das ein zweiter Arzt, welcher die Propofol-Gabe delegiert, stets unmittelbar erreichbar ist (so genannte „Rufweite”, beachte hierzu die Vorschriften für die Durchführung von Parallel-Narkosen und s. auch unten). Dieser Arzt darf selbst nur solchen Tätigkeiten nachgehen, die ohne Gefährdung anderer Patienten jederzeit und unmittelbar unterbrochen werden können. Akzeptiert werden hier Büro- und Sprechstunden-Tätigkeiten und vermutlich auch die Sonographie, wobei zu diesem letzten Punkt kein Musterurteil eines deutschen Gerichts vorliegt. Die Durchführung endoskopischer Untersuchungen durch diesen Arzt ist aber sicher ausgeschlossen.

Im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit in einer Einzelpraxis werden sich diese Vorschriften somit vermutlich nicht erfüllen lassen, so dass hier nur die Hinzuziehung eines gesonderten (Anästhesie-)Teams als Option für die Propofol-Anwendung übrig bleibt. Es sei klar darauf hingewiesen, dass die Rufweite nicht die Präsenz von qualifizierten Kollegen in anderen organisatorischen Einheiten (z. B. „Kardiologie im Hause”) beinhaltet. Der sedierende Arzt muss in jedem Einzelfall über den Patienten (z. B. Anamnese und Vor-Medikation) informiert sein und konkret die Delegation der Propofol-Gabe an das Assistenzpersonal vornehmen. Seine Präsenz im Untersuchungsraum muss innerhalb eines kurzen Augenblicks (wenige Minuten sind zu lang) möglich sein. Er trägt für die Sedierung und die sich ergebenden Komplikationen die volle ärztliche Verantwortung und muss sich persönlich über die Qualifikation des Assistenzpersonals regelmäßig Gewissheit verschaffen. Eine entsprechende Dokumentation der genauen Zuständigkeiten im konkreten Einzelfall ist unerlässlich.

Es sei zudem darauf hingewiesen, das selbstverständlich ein Gericht von der im Rechtsgutachten vertretenden Auffassung abweichen kann. Es wird daher erst die Zukunft zeigen, ob die im vorliegenden Rechtsgutachten geäußerte Meinung tatsächlich vor deutschen Gerichten Bestand hat. Umso wichtiger erscheint, dass die im Gutachten geforderten Standards auch eingehalten werden (zweiter qualifizierter Arzt in Rufweite delegiert an qualifiziertes Assistenzpersonal bei Bereithaltung der erforderlichen technischen Vorraussetzungen). Auch wenn durch dieses Gutachten nicht jede Form der Propofol-Anwendung sozusagen legitimiert wird, was den ein oder anderen enttäuschen wird, ist es doch ein vernünftiger Schritt voran. Die Autoren dieses Kommentars stehen von der Umsetzung dieser Grundlagen betroffenen Kolleginnen und Kollegen gern für Ratschläge zur Verfügung.

Literatur

  • 1 Heuss L T, Froehlich F, Beglinger C. Changing patterns of sedation and monitoring practice during endoscopy: results of a nationwide survey in Switzerland.  Endoscopy. 2005;  37 161-166
  • 2 Cohen L B, Wecsler J S, Gaetano J N. et al . Endoscopic sedation in the United States: results from a nationwide survey.  Am J Gastroenterol. 2006;  101 967-974
  • 3 Sieg A. Screening colonoscopy among persons 50 to 60 years of age with and without familial risk of colorectal cancer - a prospective multicenter trial.  Z Gastroenterol. 2003;  41 1077-1082
  • 4 Rex D K, Heuss L T, Walker J A. et al . Trained registered nurses/endoscopy teams can administer propofol safely for endoscopy.  Gastroenterology.. 2005;  129 1384-1391

Andrea Riphaus
Till Wehrmann

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