Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2006; 38(2): 76-78
DOI: 10.1055/s-2006-932349
Praxis
Das Interview
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Eine adäquate Aufklärung des Patienten vor einer PSA-Bestimmung ist von essentieller Bedeutung

ProstatakarzinomUnser Gesprächspartner: Bernd J. Schmitz-Dräger
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Publication History

Publication Date:
04 July 2006 (online)

Studium der Humanmedizin und Biologie in Würzburg, Facharztweiterbildung Urologie, 1989 Habilitation über das Thema „Monoklonale Antikörper gegen urologische Tumoren” an der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Auslandsaufenthalt am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York, seit 1998 Leiter der urologischen Belegabteilung der EuromedClinic in Fürth.

DZO:

Stichwort PSA-Bestimmung: Durch die veröffentlichten Daten einer aktuellen Studie von Forschern der Yale-Universität in New Haven gerät die bisherige Praxis des PSA-Screenings erneut ins Wanken, da gezeigt werden konnte, dass sich für Männer über 50 Jahren kein Überlebensvorteil aus Screening-Untersuchungen ergibt. Wie bewerten Sie diese aktuellen Ergebnisse?

Prof. Schmitz-Dräger:

Die sog. „Concato-Studie” kann die Frage, ob eine regelmäßige Vorsorge die Prognose von Patienten mit einem Prostatakarzinom verbessert, letztlich nicht beantworten. Bemerkenswert an dieser Studie sind für mich zwei Aspekte: die große Ausgangspopulation von über 71 000 Menschen und die publizistische Aufmerksamkeit, die dieser Studie gewidmet wird. Tatsächlich handelt es sich um nur 1002 Prostatakarzinompatienten, bei denen untersucht wurde, ob regelmäßige Untersuchungen durch PSA-Bestimmungen und/oder Tastuntersuchung einen Einfluss auf das Überleben hatten. Die Concato-Studie ist keine prospektive Untersuchung, in der ein zuvor definiertes Screening erfolgte. Prinzipiell sind derartige retrospektive, sog. nested case-control-Studien nicht geeignet, wissenschaftliche Fragen definitiv zu beantworten, sondern werden eher genutzt, um Hypothesen zu generieren. Von daher gilt auch nach Vorlage dieser Ergebnisse, dass

es plausibel ist, dass die Früherkennung einer prinzipiell tödlichen Erkrankung langfristig einen positiven Effekt auf das Überleben der Betroffenen hat, ein definitiver Beleg für diesen Effekt bislang ebenso wenig vorliegt wie der Gegenbeweis, die Probleme einer Früherkennung relativ gutartiger Tumore insbesondere bei älteren Patienten nicht zufrieden stellend gelöst sind, aber auch dass die von populistischen Stimmen in Deutschland missionarisch betriebene Verteufelung der PSA-Untersuchung erhebliche Risiken birgt.

Von essentieller Bedeutung erscheint mir eine adäquate Aufklärung des Patienten vor der PSA-Bestimmung. Dies wurde zu Recht im vergangenen Jahr von der Stiftung Warentest angemahnt. Diese Forderung wurde auch im Rahmen des sog. „PSA-Gipfels”, der vor 4 Wochen in Offenbach stattfand, aufgegriffen.

DZO:

Gibt es Ihrer Ansicht nach diagnostische Methoden, die sich besser zur Früherkennung von Prostatakrebs eignen oder die die herkömmliche PSA-Bestimmung sinnvoll ergänzen können?

Prof. Schmitz-Dräger:

Eine echte Alternative zum PSA-Wert, der die Diagnostik des Prostatakarzinoms entscheidend verbessern kann, sehe ich aktuell nicht. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, mit denen insbesondere die Spezifität des PSA-Wertes verbessert werden soll. Die Bedeutung der Bestimmung des PSA-Anstieges über die Zeit, des freien Anteiles des PSA, sowie des komplexierten cPSA und der PSA-Vorläufer pre-PSA werden derzeit in großen Studien geprüft. Auf dem bereits eben erwähnten „PSA-Gipfel” wurde dem PSA-Anstieg eine wichtige Rolle beigemessen. Ein Anstieg von mehr als 0,5 ng/ml jährlich wird als verdächtig angesehen. Weitere Fortschritte erwarte ich von der Proteomic-Technik, wobei wir hier noch weit von einer routinemäßige Anwendung entfernt sind.

DZO:

Wann halten Sie im Verlauf einer Erkrankung die Durchführung einer PET- oder MRT-Untersuchung für sinnvoll?

Prof. Schmitz-Dräger:

Hier muss man zwischen Primärdiagnostik, Ausbreitungsdiagnostik und Diagnostik im Verlauf der Erkrankung unterscheiden. Auch wenn die bildgebende Diagnostik in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, so ist ihre Rolle in der Primärdiagnostik derzeit noch unklar. Während die MRT-Untersuchung in der Ausbreitungsdiagnostik beim lokal fortgeschrittenen Tumor derzeit keinen Stellenwert besitzt, scheinen MR-Spektroskopie und das 11-Cholin-PET in einigen Fällen Primärtumoren und Lymphknotenmetastasen nachweisen zu können. Ich persönlich würde die 11-Cholin-PET-Untersuchung am ehesten bei einem PSA-Anstieg nach radikaler Prostatektomie einsetzen, um Hinweise auf ein mögliches lokales Tumorrezidiv zu erhalten. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dieser Einsatz nicht evidenz-basiert ist und somit eine Einzelfallentscheidung bleibt.

DZO:

Es ist für Patienten und Therapeuten nicht immer leicht, den schmalen Weg zwischen radikaler oder abwartender Behandlung und der Erhaltung einer guten Lebensqualität zu finden. Bei welchen Prostatakarzinompatienten würden Sie eine abwartende Haltung bei der Wahl der Behandlungsstrategie empfehlen und wann sollte Ihrer Meinung nach invasiv therapiert werden?

Prof. Schmitz-Dräger:

Die Antwort auf diese Frage ist so einfach und doch so schwer: immer dann, wenn ein Risiko besteht, dass der Patient an seinem unbehandelten Tumor versterben kann, ist ein aktives Vorgehen gefragt. Generell gilt: je aggressiver der diagnostizierte Tumor ist, desto aggressiver die Behandlung, je älter oder morbider der zu behandelnde Patient ist, desto eher ist ein abwartendes Vorgehen gefragt. Selbstkritisch muss ich aber anmerken, dass wir Urologen vielfach eher zu Aktionismus neigen und dieses Problem leider noch nicht zufriedenstellend gelöst haben.

DZO:

Ein Beispiel aus der Praxis: Was raten Sie einem über 70-jährigen Patienten, der eine Biopsie ablehnt?

Prof. Schmitz-Dräger:

Bei der Biopsie handelt es sich um Diagnostik und nicht um eine Behandlung. Wenn der Patient keine Klärung seines ja vermutlich erhöhten PSA-Wertes wünscht, kann ich ihm nur raten, von einer weiteren Bestimmung abzusehen. Eine Maßnahme, die keine Konsequenzen hat, ist sinnlos.

DZO:

Wie beurteilen Sie Methoden, die bei kleinen Prostatatumoren oder bei Rezidivtumoren angewandt werden, wie z.B. HIFU oder Hyperthermie? Sehen Sie andere Alternativen zur radikalen Operation?

Prof. Schmitz-Dräger:

Keines der genannten Verfahren - und da möchte ich auch die Kryotherapie mit einschließen - ist derzeit eine Alternative zu den etablierten Konzepten wie Operation oder Strahlentherapie. Es handelt sich um experimentelle Techniken. Und die sollten so eingesetzt werden, wie dies der Name ausdrückt: innerhalb von sorgfältig kontrollierten klinischen Studien und nicht in der routinemäßigen Patientenversorgung, wie dies leider vielfach zu beobachten ist. Dann werden diese Verfahren auch einen Stellenwert erhalten und nicht, wie auf Grund der wenigen bislang vorgelegten Langzeitergebnisse zu befürchten, mittelfristig in Misskredit geraten. Ich sehe für die minimal invasiven Verfahren am ehesten Anwendungsbereiche nach vorangegangener Strahlentherapie und evtl. bei älteren Patienten. Wir haben uns in Fürth daher an derzeit in Deutschland laufende Studienprotokolle angeschlossen.

DZO:

Inzwischen werden Antihormone auch vorbeugend nach erfolgter Operation oder Bestrahlung eingesetzt. Halten Sie dieses Vorgehen für sinnvoll?

Prof. Schmitz-Dräger:

Der Frage einer adjuvanten Behandlung mit Antiandrogenen nach radikaler Prostatektomie oder Strahlentherapie wurde in den letzten Jahren im Rahmen einer sehr sorgfältig durchgeführten weltweiten Studie, dem sog. EPC-Programm, untersucht. Die soeben vorgestellten aktualisierten Ergebnisse mit über 7 Jahren Nachbeobachtung zeigen, dass die Tumorprogression bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom, unabhängig von der zuvor erfolgten Primärtherapie, verzögert wird. Eine adjuvante Therapie mit Bicalutamid nach Strahlentherapie verlängert sogar signifikant das Überleben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: eine adjuvante Antiandrogentherapie ist bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom - insbesondere nach Strahlentherapie - eine sinnvolle Maßnahme.

DZO:

Im Bereich der Deutschen Gesellschaft für Urologie engagieren Sie sich für den Arbeitskreis Prävention, Umwelt- und Komplementärmedizin. Mit welchen Themenkreisen setzen Sie sich darin schwerpunktmäßig auseinander? Gibt es bestimmte Bereiche, die Ihnen bei der begleitenden Behandlung von schulmedizinischen Therapien (wie z.B. Chemo- und Strahlentherapie) besonders wichtig erscheinen?

Prof. Schmitz-Dräger:

Die Prävention urologischer Tumoren, und hier insbesondere des Prostatakarzinoms, ist aktuell ein extrem spannendes Thema, weil in den letzten Jahren eine Vielzahl exzellenter Studien zu diesem Thema publiziert worden ist. Neben vielen Hinweisen auf die Bedeutung der Ernährung in diesem Zusammenhang konnte auch erstmals belegt werden, dass eine Chemoprävention des Prostatakarzinoms mit Hilfe des 5-alpha-Reduktase-Hemmers Finasterid tatsächlich effektiv möglich ist.

Zur Frage einer supportiven Behandlung im Rahmen schulmedizinischer Maßnahmen bleibt zu erwähnen, dass die Prävention der relativ häufigen Knochen-bedingten Komplikationen im Rahmen einer Hormonentzugsbehandlung des metastasierten Prostatakarzinoms durch die regelmäßige Gabe eines Bisphosphonates vermieden werden kann. Diese Erkenntnisse stammen aus einer großen randomisierten Studie, die vor 2 Jahren publiziert wurde.

DZO:

Welche begleitenden komplementäronkologischen Maßnahmen empfehlen Sie Patienten im Sinne einer sekundären Krankheitsprävention?

Prof. Schmitz-Dräger:

Die Frage, was der Patient tun kann, um ein Wiederaufleben oder Fortschreiten seiner Erkrankung zu vermeiden, wird häufig gestellt. Es geht darum, den ganzen Körper auf eine lange „Abwehrschlacht” gegen einen tückischen Gegner vorzubereiten. Dies geschieht am Besten durch eine gesunde Ernährung sowie körperliche und geistige Fitness. Die Wege zu diesem Ziel sind zahlreich, sollten aber entschlossen beschritten werden.

Und noch etwas erscheint mir wichtig, was ich vom Leiter der Nürnberger Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe lernen durfte: die wirksamsten Mittel im Kampf gegen Krebs sind Lachen und Freude; Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind die wichtigsten Verbündeten der Krankheit.

DZO:

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Schmitz-Dräger:

In der Tat, eine sehr persönliche Frage. Auch wenn diese Auskunft meine Partner amüsieren mag, so bemühe ich mich, meinen Body Mass Index durch Sport und Bewegung unterhalb kritischer Grenzen zu drücken. Aus persönlichen Gründen heraus habe ich mich für Radfahren, Schwimmen und Gewichte entschieden. Mein Prostatakarzinomrisiko versuche ich, über eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Ernährung günstig zu beeinflussen. Wir haben diese Erkenntnisse übrigens vor einiger Zeit in einem Kochbuch, der sog. „Männerküche”, für den Laien zusammengefasst, das im Kilian-Verlag erschienen ist. Ich hoffe, dass mir so viel „Schleichwerbung” an dieser Stelle erlaubt ist.

DZO:

Herr Prof. Schmitz-Dräger, vielen Dank für das Gespräch.

Literatur

  • 01 Concato J, Wells C K, Horwitz R I, Penson D, Fincke G, Berlowitz D R, Froehlich D, Blake G, Vickers M A, Gehr G A, Raheb N H, Sullivan G, Peduzzi P. The effectiveness of screening for prostate cancer: a nested case-control study.  Archives of Internal Medicine. 2006;  166 (1) 38-43
  • 02 McLeod D G, Iversen P, See W A, Morris T, Armstrong J, Wirth M P. Casodex Early Prostate Cancer Trialists' Group: Bicalutamide 150 mg plus standard care vs standard care alone for early prostate cancer.  BJU Int. 2006;  97 (2) 247-54
  • 03 Thompson I M, Goodman P J, Tangen C M, Lucia M S, Miller G J, Ford L G, Lieber M M, Cespedes R D, Atkins J N, Lippman S M, Carlin S M, Ryan A, Szczepanek C M, Crowley J J, Coltman Jr C A. The influence of finasteride on the development of prostate cancer.  N Engl J Med. 2003;  349 (3) 215-24
  • 04 Saad F, Gleason D M, Murray R, Tchekmedyian S, Venner P, Lacombe L, Chin J L, Vinholes J J, Goas J A, Zheng M. Zoledronic Acid Prostate Cancer Study Group: Long-term efficacy of zoledronic acid for the prevention of skeletal complications in patients with metastatic hormone-refractory prostate cancer.  J Natl Cancer Inst. 2004;  96 (11) 879-82
  • 05 Schmitz-Dräger B J, Ebert T, Höfer R, Zaun S. MännerKüche. Marburg; Verlag im Kilian 2001

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Bernd J. Schmitz-Dräger

EuromedClinic, Abteilung für Urologie

Europa-Allee 1

90763 Fürth

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