Fortschr Neurol Psychiatr 2006; 74(7): 365-366
DOI: 10.1055/s-2006-932210
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ist eine dekompressive Hemikraniektomie bei raumforderndem Schlaganfall oder Schädelhirntrauma sinnvoll?

Is a Decompressive Hemicraniectomy Sensible in Space Occupation Through Stroke or Head and Brain Trauma?B.  Neundörfer1
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Publikationsdatum:
28. Juni 2006 (online)

Bei einem raumfordernden Hirninfarkt, dem sog. malignen Mediainfarkt liegt die Letalität bei ca. 80 % [1] [2], so dass in den letzten Jahren in Schlaganfallzentren zunehmend eine dekompressive Hemikraniektomie durchgeführt wird, um v. a. eine tentoriale Einklemmungssituation zu verhindern und die zerebrale Perfusion zu verbessern.

In mehreren, allerdings nicht randomisierten Studien zeigte sich auch in der Tat, dass die Krankenhausletalität auf etwa 20 % gesenkt werden kann (u. a. [2] [3]). Allerdings gibt es nur wenige Langzeitstudien, die etwas über die Langzeitüberlebensrate, das funktionelle Outcome und die Lebensqualität der Überlebenden aussagt. Nach einem Jahr lebten in der Studie von Uhl u. Mitarb. [4] noch 44 % von 188 Patienten und in der von Walz u. Mitarb. [5] noch 33 % von 18 Patienten. Der Barthel-Index betrug bei den Überlebenden 53 ± 28 bzw. 61 ± 26.

Noch spärlicher sind Verlaufsbeobachtungen bei Patienten mit Hemikraniektomie nach Schädelhirntraumen [6] [7], die von einer Letalität von 42,5 % von 40 Patienten, bzw. von 19 % von 57 Patienten berichten. Die Rehabilitationserfolge lagen bei 25 % und 58 %.

Es ist deshalb verdienstvoll, dass Woldag u. Mitarb. [8] in der in diesem Heft publizierten Studie nochmals der Frage nachgehen, wie bei Patienten mit dekompressiver Kraniektomie nach Schlaganfall und Schädelhirntrauma (SHT) die Rehabilitationsergebnisse zu beurteilen sind. Sie erfassten 22 Patienten mit Schädelhirntrauma und 41 mit Schlaganfall, wobei jedoch auch 4 Patienten mit Hirnblutungen, 4 Patienten mit einer Subarachnoidalblutung (SAB) und 6 Patienten mit SAB und Hirninfarkt durch Gefäßspasmus eingeschlossen wurden. Alle Patienten machten während des Rehabilitationsprozesses deutliche Fortschritte v. a. in der Beurteilung nach dem Frührehabilitations-Barthel-Index nach Schönle (FBI). Gemessen mit dem Barthel-Index (BI) war das Ergebnis jedoch deutlich schlechter als in den o. a. Studien von Uhl u. Mitarb. [4] und Walz u. Mitarb. [5]. In der Schlaganfallgruppe lag der BI bei 36,3 und bei der SHT-Gruppe bei 42, sodass für beide Gruppen kein wesentlicher Unterschied festgestellt werden konnte.

Welche Schlussfolgerungen können aus den bisherigen Verlaufsbeobachtungen nach Hemikraniektomie bei Patienten mit Raum fordernden Hirninfarkten oder Hirnblutungen unterschiedlicher Genese gezogen werden? Betrachtet man lediglich die Letalität, dann scheint der operative Eingriff einer konservativen Behandlung weit überlegen zu sein (80 % vs. 20 %). Es bleiben aber noch einige offene Fragen. Zum einen ist die Definition, was ein „maligner Hirninfarkt” ist, noch unscharf, sodass auch der richtige Zeitpunkt zur Operation noch nicht klar festgelegt ist. Im Heidelberger Krankengut [3] hatten die früh Operierten zwar tendenziell ein besseres Outcome, was aber in anderen Studien (z. B. [4]) nicht bestätigt werden konnte: Zum anderen wird derzeit heftig darüber diskutiert, ob man für die Trepanation ein Alterslimit festlegen sollte. In den meisten Studien zeigte sich nämlich, dass die Prognose bei unter 50-Jährigen signifikant besser ist als bei Patienten mit darüber liegendem Alter. Ein weiter offenes Problem ist die Frage nach dem Gewinn an Lebensqualität durch die Operation, und inwieweit diese davon beeinflusst wird, ob die Dekompression die dominante oder die nicht dominante Hemisphäre betrifft. Das bezieht natürlich auch die Frage nach Ausmaß und Frequenz der häufig nach einem Schlaganfall auftretenden Depression mit ein [9] [10] [11]. Diese noch offenen Fragen können letztlich nur in einer prospektiven randomisierten Studie beantwortet werden.

Literatur

  • 1 Hacke W, Schwab S, Horn M, De Georgia M, Kummer R von. “Malignant” middle cerebral artery territory infarction: clinical course and prognostic signs.  Arch Neurol. 1996;  53 309-315
  • 2 Holtkamp M, Buchheim K, Unterberg A, Hoffmann O, Schielke E, Weber J R, Masuhr F. Hemicraniectomy in elderly patients with space occupying media infarction: improved survival but poor functional outcome.  J Neurol Neurosurg Psychiatr. 2001;  70 226-228
  • 3 Schwab S, Steiner T, Aschoff A, Schwarz S, Steiner H H, Jansen O, Hacke W. Early hemicraniectomy in patients with complete middle cerebral artery infarction.  Stroke. 1998;  29 1888-1893
  • 4 Uhl E, Kreth F W, Elias B, Goldammer A, Hempelmann R G, Liefner M, Nowak G, Oertel M, Schmieder K, Schneider G-H. Outcome and prognostic factors of hemicraniectomy for space occupying cerebral infarction.  J Neurol Neurosurg Psychiatr. 2004;  75 270-274
  • 5 Walz B, Zimmermann C, Bottger S, Haberl R L. Prognosis of patients after hemicraniectomy in malignant middle cerebral artery infarction.  J Neurol. 2002;  249 1183-1190
  • 6 Albanese J, Leone M, Alliez J R, Kaya J M, Antonini F, Alliez B, Martin C. Decompressive craniectomy for severe traumatic brain injury: Evaluation of the effects at one year.  Crit Care Med. 2003;  31 2535-2538
  • 7 Guerra W K, Gaab M R, Dietz H, Mueller J U, Piek J, Fritsch M J. Surgical decompression for traumatic brain swelling: Indications and results.  J Neurosurg. 1999;  90 187-196
  • 8 Woldag H, Atanasova R, Renner C, Hummelsheim H. Funktionelles Outcome nach dekompressiver Kraniektomie: eine retro- und prospektive klinische Studie.  Fortschr Neurol Psychiat. 2006;  74 367-370
  • 9 Wallesch C W. Depression nach Schlaganfall - Wege zur Diagnose.  Fortschr Neurol Psychiat. 2006;  74 249-250
  • 10 Dohmen Ch, Garlip G, Sitzer M, Siebler M, Malevani J, Kessler K R, Huff W. Post-Stroke-Depression - Algorithmus für ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen in der klinischen Routine.  Fortschr Neurol Psychiat. 2006;  74 257-262
  • 11 Nolte Ch, Müller-Nordhorn J, Jungehülsing G J, Rossnagel K, Reich A, Roll S, Laumeier I, Beerfelde D, Willich S N, Villringer A. Zwei einfache Fragen zur Diagnose der Post-Schlaganfall Depression.  Fortschr Neurol Psychiat. 2006;  74 251-256

Prof. Dr. med. Bernhard Neundörfer

Platenstr. 56

91054 Erlangen

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