Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38(6): 428-429
DOI: 10.1055/s-2006-924742
Kommentar

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar zur Arbeit von V. L. Moser et al.: Ist eine unterschiedliche Behandlung bei verschiedenen Schweregraden des Sulcus nervi ulnaris-Syndroms sinnvoll?

Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38: 172 - 177Commentary on the Article of V. L. Moser et al.: Is a Differentiated Treatment Depending on the Degree of Severity Justified in Cubital Tunnel Syndrome?Handchir Mikrochir Plast Chir 2006; 38: 172 - 177R. Hoffmann1
  • 1Abteilung für Handchirurgie und Plastische Chirurgie (Leitender Arzt: Dr. R. Hoffmann), Evangelisches Krankenhaus Oldenburg
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Publication History

Eingang des Manuskriptes: 17.8.2006

Angenommen: 20.8.2006

Publication Date:
11 January 2007 (online)

Die im Titel der Arbeit gestellte Frage ist nicht wirklich ernst gemeint. Wäre dies der Fall gewesen, hätten die Autoren ihre prospektive Studie anders organisiert. Sie wären wirklich dieser uns alle interessierenden Frage nachgegangen und hätten randomisiert gleich schwere Fälle unterschiedlich operiert. Die Ergebnisse wären hochinteressant gewesen. So aber führt die Arbeit ins Leere: Die Patienten wurden von vornherein „stadiengerecht“ operiert, weil die Autoren eben keine Frage beantworten, sondern ihr eigenes Behandlungskonzept vorstellen, einen „Behandlungsalgorithmus“ vorschlagen wollten.

Ein Grundfehler liegt darin, das Kubitaltunnelsyndrom analog dem Rattenmodell von Mackinnon und Dellon als monofokale Kompressionsneuropathie zu betrachten: Durchblutungsstörung - Ischämie - Demyelinisierung - axonale Degeneration, dann wird noch die unbewiesene Traktionsschädigung hinzugefügt. Letztere dient zur Begründung des wohl komplexesten (und traumatisierendsten) Verfahrens in der Ulnarischirurgie, der submuskulären Vorverlagerung des Nervs.

Die Gefahr des vorgeschlagenen Behandlungskonzepts liegt darin, dass es denjenigen, die sich nicht schwerpunktmäßig mit der Behandlung peripherer Nervenkompressionen befassen, logisch erscheinen könnte. Kleiner Schaden, kleine Operation - großer Schaden, große Operation. Das kann aber leider, in der Hand der weniger Erfahrenen, zu noch größeren Schäden führen.

Wir sind aufgrund unserer klinischen, anatomischen und neurosonographischen Untersuchungen zu anderen Schlussfolgerungen gekommen. Wir sind der begründeten Ansicht, dass es sich beim Kubitaltunnelsyndrom in vielen Fällen um ein multifokales Kompressionsgeschehen handelt. In einer unveröffentlichten Studie zeigten sich bei einem Drittel der neurosonographisch untersuchten Patienten Kompressionsstellen weit distal der üblicherweise dekomprimierten Nervenabschnitte (Abb. [1]). Da nicht jeder Patient sonographiert werden kann, heißt für uns die Konsequenz, langstreckig zu dekomprimieren, aber in situ! Wir führen die Dekompression endoskopisch durch und kommen auf Neurolysestrecken von 23 bis 30 cm. In unserer kürzlich veröffentlichten Studie machten wir eine ganz andere Erfahrung als die Wiener Kollegen: Gerade die Gruppe der Dellon-III-Patienten schnitt in der Bewertung der postoperativen Besserung besonders gut ab. Fazit: Die in situ Dekompression des N. ulnaris beim Kubitaltunnelsyndrom ist ausreichend, man muss aber alle Kompressionsursachen beseitigen, und diese liegen in einem Bereich bis zu 12 cm distal der retrokondylären Fossa. Zu vermuten ist, dass die guten Ergebnisse des radikalen Vorgehens der Autoren unsere Hypothese bestätigen, denn um eine submuskuläre Vorverlagerung lege artis durchzuführen, muss man den Nerv langstreckig dekomprimieren.

Abb. 1 Kompressionszone des N. ulnaris 9 cm distal der retrokondylären Fossa bei einem Dellon-II-Kubitaltunnelsyndrom.

Dr. med. Reimer Hoffmann

Abteilung für Handchirurgie und Plastische Chirurgie
Evangelisches Krankenhaus

Marienstraße 1

26122 Oldenburg

Email: dr.reimer.hoffmann@evangelischeskrankenhaus.de

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