Hebamme 2005; 18(4): 205
DOI: 10.1055/s-2005-923630
Editorial

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Das Wochenbett - eine Zeit dramatischer Veränderungen

U. Retzke
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Dezember 2006 (online)

Das Wochenbett wird auch als »eine Zeit von physiologischen und psychosozialen Veränderungen dramatischen Ausmaßes« bezeichnet [1]. - Wenn es sich bei den puerperalen Rückbildungs- und Involutionsprozessen wirklich um »dramatische« Veränderungen handelt, dann müssen zuvor, also in der Schwangerschaft, ganz erhebliche Veränderungen eingetreten sein. Dies ist in der Tat der Fall!

Betrachten wir beispielhaft die Herz-Kreislauf-Situation: Schon in der Frühschwangerschaft steigen Schlag- und Minutenvolumen des Herzens steil an und erreichen im 3. Trimester Zunahmen von 30 bzw. 40 %. Sieht man von der passageren Bludrucksenkung in der Frühschwangerschaft einmal ab, dann bleibt der arterielle Druck in der Schwangerschaft normalerweise konstant. Damit errechnet sich für den peripheren Gefäß- oder Strömungswiderstand eine schwangerschaftsbedingte Abnahme um ca. 25-30 % [2]. Dies entspricht einem leistungssportlichen Trainingszustand erster Güte: Die Kreislaufperipherie ist für eine optimale Durchblutung weit gestellt und gleichzeitig sind die Schlag- und Minutenvolumen des Herzens signifikant erhöht. Damit bestehen von Seiten des Kreislaufsystems beste Voraussetzungen für eine maximale Leistungserbringung (Organdurchblutung, O2-Versorgung).

Die gesunde Schwangere erreicht einen optimalen hämodynamischen Trainingsgrad, dessen Sinn in der Bewältigung der hohen Anforderungen von Schwangerschaft und Geburt liegt und an dessen Realisierung neben dem Herz-Kreislauf-System auch alle anderen Organe und Organsysteme in irgendeiner Weise beteiligt sind. Es gibt kaum ein Organ, dessen Funktion in der Schwangerschaft nicht verändert oder angepasst wird.

Mit dem Eintritt ins Wochenbett kann dieser Trainingszustand abgebaut bzw. rückgängig gemacht werden. Schlag- und Herzminutenvolumen sowie Herzfrequenz fallen ziemlich schnell auf den Vorschwangerschaftswert zurück. Etwas langsamer vollziehen sich die Adaptationen des Blutvolumens und der einzelnen anderen Organfunktionen. Gleichzeitig kommt es zur Laktation und zu erheblichen psychischen und psychosozialen Anpassungen und Umstellungen. So gesehen ist die Einschätzung von E.H. Park und B.P. Sachs [1] richtig.

Und wer einmal im Rahmen einer gestörten Uterusinvolution lebensbedrohende Blutungen erlebt hat oder wer erfahren musste, dass eine junge Frau nach jahrelanger Kinderwunschbehandlung post partum eine Wochenbettdepression bekam und mit ihren beiden gesunden Zwillingen im Arm aus dem obersten Stock eines Hochhauses in den Freitod gesprungen ist, der weiß, wie wachsam (und trotzdem unauffällig) man die junge Mutter beobachten und die biologischen sowie psychischen Veränderungen im Wochenbett registrieren und kritisch werten muss.

Keiner anderen Berufsgruppe als den Hebammen ist es vergönnt, diese Aufgabenstellung der ante-, intra- und postpartalen Begleitung, Überwachung, Förderung, Beratung, Anleitung und Behandlung der Frau so komplex übernehmen zu können. Diese Zuständigkeit setzt ein hohes fachliches Wissen und Respekt vor den verschiedenen Lebensphasen der Frau voraus.

Begleitung und Betreuung als originäre Bestandteile der Hebammenarbeit ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge in diesem Heft. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Literatur

  • 1 E. Park H., B. Sachs P.. Puerperal problems.  In: High Risk Pregnancy. Management Options. Second Edition. Edited by D.K. James, P.J. Steer, C.P. Weiner, B. Gonol. W.B. Saunders  London. 1994; 
  • 2 T. Easterling R., T. Benedetti J., B. Schmucker C., St. Millard P.. Maternal haemodynamics in normal and preeclamptic pregnancies: A longitudinal study.  Ostet Gynecol. 1990;  76 1061-1069
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