Z Sex Forsch 2005; 18(2): 115-134
DOI: 10.1055/s-2005-836637
Originalarbeiten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lebensverläufe und Delinquenzvon älteren Pädophilen

Frank Wendt1 , Hans-Ludwig Kröber1
  • 1Institut für Forensische Psychiatrie der Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin
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Publication Date:
01 August 2005 (online)

Übersicht

Die Studie, die auf der Auswertung von 22 Begutachtungsfällen von älteren, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagten Männern basiert, rekonstruiert wichtige Dimensionen der Lebensverläufe von strukturierten Pädosexuellen. Nachgegangen wird unter anderem Fragen nach der Struktur und der Frequenz pädosexueller Kontakte im mittleren und höheren Lebensalter und deren sozialen Kontexten. Dabei zeigte sich, dass bereits die mit etwa 20 Jahren beginnende Delinquenz und die sich daran anschließenden Verurteilungen und Haftstrafen zu einer sozialen Marginalisierung führen, welche die Rückfälligkeit begünstigt. Dieser biographische Bruch führt zu beruflichem Abstieg und einer erheblichen Einschränkung von sozialen Beziehungen. Damit einher geht eine Bedeutungszunahme der Kontakte mit Kindern, wobei sich in höherem Lebensalter jedoch eine Tendenz zur Anonymisierung und Promiskuität pädosexueller Kontakte zeigt. Abschließend werden differenzialdiagnostische, psychiatrische und juristische Aspekte des Phänomens Pädosexualität erörtert, wobei vor allem die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung pädosexueller Männer diskutiert wird.

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1 Allerdings ging es bei diesen Untersuchungen nicht um eigentlich Pädophile, sondern um Straftäter, bei denen es auch zu sexuellem Missbrauch von Kindern gekommen war. Auch in Deutschland wurde in jenen Jahren sehr häufig eigene Missbrauchserfahrung von Straffälligen angegeben, häufig wenig substanziiert. Diese Neigung lässt inzwischen erkennbar wieder nach.

2 § 20 StGB: Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 StGB: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 [StGB] bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 [StGB] Abs. 1 gemildert werden.

Dr. med. Frank Wendt
Prof. Dr. med. Hans-Ludwig Kröber

Institut für Forensische Psychiatrie Charité - Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin

Limonenstr. 27

12203 Berlin

Email: Frank.Wendt@charite.de

Email: Hans-Ludwig.Kroeber@charite.de

URL: http://www.forensik-berlin.de

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