Endoskopie heute 2004; 17(3): 154-155
DOI: 10.1055/s-2004-820405
Gutachter- und Schlichtungsstellen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sedierung oder fahrlässige Tötung?

Sedation or Causing Death by Negligence?F. MeyerAus der Arbeit der Gutachter- und SchlichtungsstellenRedaktion: W. Rösch, Frankfurt am Main
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. November 2004 (online)

Die Überschrift mag provozierend wirken. Sie zeigt aber nur, wie schmal der Grat ist, auf dem man sich bewegen kann, wenn es „lediglich” darum geht, einen Patienten für eine internistische Untersuchung ruhig zu stellen. Weil dies so ist, soll hier ein Fall vorgestellt werden, mit dem sich eine mit Arzthaftpflichtfragen beschäftigte Gutachterstelle einer Landesärztekammer zu befassen hatte. Hier der Sachverhalt:

Ein 60-jähriger adipöser Patient (117,3 kg) wird vom Hausarzt mit der Diagnose „Cholezystolithiasis, Hepatitis unklarer Genesis bei insulinpflichtigem Diabetes” zur Klärung erhöhter Leberwerte in eine Klinik eingewiesen. Anlass waren mitgelieferte Laborbefunde einer OT von 118, PT 102, GT 696, alkalische Phosphatase 592 U/l. Im Aufnahme-EKG der Medizinischen Klinik fand sich ein AV-Block 1. Grades. Die Laborwerte in der Klinik ergaben: OT 170, PT 327, GT 767, alkalische Phosphatase 1 237 U/1, Bilirubin 2,1 mg/dl. Ultraschallaufnahmen zeigten eine grenzwertige Lebergröße mit Steatosis hepatis, Verdacht auf mehrere Gallenblasenkonkremente, Gallenblase selbst nicht wandverdickt, Gallenwege nicht gestaut, Pankreas nicht beurteilbar.

Im Abdomen-CT waren zu sehen: umgeformte, zugunsten des rechten Leberlappens betonte, relativ dichte Leber, hydropische Gallenblase mit homogener relativ hoher Dichte, die für ein Sludgephänomen sprach. Umschriebenes Konkrement nicht nachweisbar. Keine Cholestase, kein Pankreastumor.

Unter Behandlung mit Cholspasmin fielen die Leberenzymwerte in den folgenden 6 Tagen nur langsam. Darauf wurde der Entschluss zur ERCP gefasst. Bei Untersuchungsbeginn fiel schon vor der Sedierung eine periphere Sauerstoffsättigung von nur 88 % auf. Es wurde ein Beißring angelegt, an dem eine Sauerstoffsonde angeschlossen war, die einen Sauerstoffzufluss von 10 l/min sicherstellen sollte. Eine Monitorkontrolle (permanentes EKG, periphere Sauerstoffsättigung, Blutdruck in zeitlichen Abständen) fand statt. Während der nun folgenden Untersuchung, deren zeitliche Länge nicht dokumentiert und nicht bekannt ist, wurden insgesamt 50 mg Dormicum, 480 mg Buscopan und 50 mg Dolantin über einen venösen Zugang zugeführt.

Bei der endoskopischen Untersuchung konnte der Untersucher den Ductus pankreaticus leicht intubieren und ein unauffälliges Pankreasgangsystem darstellen. Eine retrograde Cholangiographie war jedoch nicht möglich, der Ductus choledochus war nicht zu intubieren und anzufärben. Nun entschloss man sich zu einer precut-Papillotomie. Eine Verlegung durch ein Konkrement wurde nicht gefunden.

Nach Abschluss der Papillotomie zeigte der Monitor durch ein Warnsignal eine Asystolie an. Die Untersuchung wurde sofort abgebrochen, eine kardiopulmonale Reanimation begonnen und während des Transportes in die Intensivstation fortgesetzt. Eine Kammertachykardie konnte durch einmalige Defibrillation in einen tachykarden Sinusrhythmus konvertiert werden mit der Folge systolischer Blutdruckwerte um 200 mgHG. Die hämodynamischen Bedingungen stabilisieren sich im Laufe des Tages. Über einen zentralvenösen Katheter wurde die Sedierung am Beatmungsgerät mit Dormicum und Fentanyl-Perfusion fortgesetzt.

In der Folge entwickelte sich eine hypertensive Kreislaufdysregulation. Ein am nächsten Tag bei dem tief komatösen Patienten durchgeführte Schädel-CT zeigte eine frontale äußere Gehirnatrophie, kein Hirnödem, keine Blutung, keinen demarkierten Infarkt. Ein Kontroll-CT bei sonst unverändertem Zustand des Patienten weitere 5 Tage später belegte ein diffuses Großhirnödem und im Thalamusbereich typische hypoxische Hirninfarkte bei beginnender Demarkierung.

Vier Tage später - 10 Tage nach der Untersuchung - verstarb der Patient. - Soweit der tragische Verlauf.

Dr. jur. F. Meyer

Vorsitzender Richter am OLG i. R. · Vorsitzender der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen bei der Landesärztekammer Hessen

Im Vogelsang 3

60488 Frankfurt am Main

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