Rehabilitation (Stuttg) 2003; 42(5): 261-268
DOI: 10.1055/s-2003-42857
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anforderungen an eine patientenorientierte Rehabilitation[1]

Demands for a New, Patient Oriented RehabilitationP.  W.  Schönle1
  • 1Universität Konstanz und Neurologische Fach- und Rehabilitationsklinik NRZ Magdeburg
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Publication Date:
10 October 2003 (online)

Zusammenfassung

Die Neurorientierung der Rehabilitation auf der Basis und mit dem Ziel, sich vermehrt an den Belangen der Betroffenen auszurichten, ergibt sich aus den Entwicklungen in der deutschen und den europäischen Selbsthilfebewegungen, die direkt Eingang in das SGB IX gefunden haben. Die europäische Selbsthilfebewegung, deren Forderungen in der Madrider Erklärung zusammengefasst wurden und in der Leitlinie Nothing about us without us - Nichts über uns ohne uns fokussieren, die Empowerment-Bewegung und das SGB IX zielen gleichermaßen auf Selbstbestimmung, Teilhabe, Recht auf Mitwirkung, Bereitstellung von Mitteln, die Teilhabe umzusetzen (Empowerment). Damit vollzieht sich ein Wandel im Denken von der Defizitorientierung zum Verstehen von Behinderung als Notwendigkeit, Ressourcen für die Entfaltung vorhandener Fähigkeiten bereitzustellen (Nachteilsausgleich). Die obrigkeitsstaatliche Fürsorgeperspektive und die Objektorientierung werden zugunsten einer Subjektorientierung verlassen, die Betroffenen werden zu selbst bestimmten und selbst handelnden Subjekten. Daraus ergeben sich wichtige Weiterentwicklungsimpulse für die Rehabilitation: Beteiligung in Form von Selbstassessment, Rehazielformulierung, Mitbestimmung und Beteiligung am Rehabilitationsprozess, Beteiligung an der Beendigung der Rehabilitation (Mitunterschrift im Entlassbrief), Beurteilung der Ergebnisqualität und informationelle Selbstbestimmung (persönliche Krankenakte).

Abstract

A new orientation of rehabilitation in Germany has been initiated by the social political representatives in legislation and government, based on conceptualizations of self help movements in Europe and Germany. The goal is to form a new rehabilitation which is dedicated to participation and partnership of citizens with disability („Nothing about us without us”). Empowerment is envisaged and resources supplied by legislation to allow to implement these new concepts (personal budget). To guarantee these new rights they have been codified in a new, 9th book of the German social code (Sozialgesetzbuch IX, SGB IX). This new perspective gives rise to major evolutionary impulses in rehabilitation, notably disabled persons’ participation in self-assessment, in formulating their rehabilitation goals, determining and controlling the rehabilitation process, terminating rehabilitation (co-signing their discharge reports), as well as evaluating the outcome (quality control of rehabilitation results). They have the right to get all their medical information (right of informational independence). Seven guidelines of people with disability are formulated to support implementation of the new rehabilitation.

1 Verkürzte Fassung eines Vortrags anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) auf dem Rehabilitationsforum der BfA vom 27. bis 28. Februar 2003 in Berlin.

1 Verkürzte Fassung eines Vortrags anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) auf dem Rehabilitationsforum der BfA vom 27. bis 28. Februar 2003 in Berlin.

2 Participere leitet sich von partem capere ab, wörtlich seinen Teil fassen, nehmen und teilnehmen. Partizipation ist damit als Teilnahme der Bedeutung nach aktiver als Teilhabe suggeriert.

3 Zugehend bedeutet hier, dass die Leistungsträger und Leistungserbringer selbst aktiv werden und auf die Betroffenen zugehen.

4 Das heißt, Bereitstellung von entsprechenden Ressourcen im Sinne des Empowerments.

5 Im SGB IX ist vorgegeben, dass Selbstbestimmung und Teilhabe grundlegendes Prinzip auch für die kurative Medizin (SGB V)  sind.

6 Im Sinne des Empowerment („Rechte ohne Ressourcen sind ein grausamer Scherz”, so Rappaport).

7 Denkbar ist auch ein europäisches Institut, da sich die medizinisch-inhaltlichen Gesundheitsaspekte europaweit ähnlich darstellen.

8 Durch ein begleitendes Forschungsprojekt ließe sich die Validität dieses Verfahrens im Vergleich zu den anderen wissenschaftlich absichern.

9 Die im § 3 SGB IX geforderte Prävention der Rehabilitationsträger belege ich mit dem Begriff „Präventivrehabilitation”. Damit erhält der Begriff der Re-Habilitation zur Bedeutung der (Wieder-)Befähigung die zusätzliche (schon ursprüngliche) Konnotation der „Um-Gewöhnung” im Sinne der Verhaltens„umgewöhnung” und -änderung. Nicht von ungefähr umfasst § 3 SGB IX nur 1 1/2 Zeilen (16 Wörter), was darauf hinweist, dass die Prävention möglicherweise sowohl inhaltlich als auch institutionell in Deutschland noch unterentwickelt ist.

Prof. Dr. phil. et med. Paul W. Schönle

Neurologische Fach- und Rehabilitationsklinik NRZ Magdeburg, Median-Kliniken GmbH & Co.

Gustav-Ricker-Straße 4

39120 Magdeburg

Email: paul.schoenle@uni-konstanz.de

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