Fortschr Neurol Psychiatr 2002; 70(9): 452-454
DOI: 10.1055/s-2002-33761
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ärgernis Drogenpolitik

Scandal Drug PoliticsK.  Heinrich1
  • 1Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication Date:
05 September 2002 (online)

Gesellschaftliche Leitideen

Die im aktuellen Heft der „Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie” publizierte Arbeit von N. Scherbaum, N. Specka, G. Hauptmann und M. Gastpar ist Anlass, nicht Ursache der folgenden Bemerkungen. Solide Untersuchungen sprechen dafür, dass es mit Hilfe der Methadonsubstitutionsbehandlung bei Opiatabhängigen gelingen kann, die Mortalitätsrate zu senken. Auch nach den Ergebnissen der Studie von Scherbaum et al. [1] ist dies der Fall. Andere Untersucher kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Es soll nicht geleugnet werden, dass dies ein wesentlicher Erfolg ist. Die Frage muss jedoch erlaubt sein, ob der Psychiater sich mit diesen Therapieresultaten zufrieden geben darf oder ob er nicht doch auch weiterreichende Überlegungen anstellen muss. Kein anderes medizinisches Fach wird so wie die Psychiatrie von den herrschenden Ideen der Epoche bestimmt. Nach den Euthanasie-Verbrechen in der Zeit des Dritten Reiches, in der die politische Leitidee vorschrieb, den Volkskörper durch „Ausmerze” von „Minderwertigen” gesund zu machen, muss es als verwunderlich betrachtet werden, dass sich jetzt nicht wenige Befürworter eines ärztlich assistierten Suizids und der Tötung auf Verlangen bei hoffnungslosem - manchmal allerdings auch bei nicht wirklich hoffnungslosem - Kranksein finden lassen. Die ältere Psychiatergeneration ist noch immer geprägt von dem Entsetzen über die staatlichen Mordaktionen im Nationalsozialismus, manchen Jüngeren sind die Konsequenzen dieser Haltung ganz unverständlich. Sie diskutieren in befremdlicher Naivität die Errungenschaften der Gegenwart, durch die ärztlicher Paternalismus und Beeinträchtigung der Patientenselbstbestimmung weitgehend aufgehoben wurden. Dies führt nun allerdings zu höchst bedenklichen ärztlichen - gerade auch psychiatrischen - Verhaltensweisen gegenüber todeswilligen Patienten, deren aktive Tötung oder ärztliche Unterstützung beim Suizid als Ausfluss ärztlicher Tugend angesehen wird. Der Zeitgeist rechtfertigt diese Einstellung, nicht nur in den Niederlanden oder in Belgien, auch in Deutschland gewinnt die Überzeugung von der Patientenautonomie bei der Wahl des eigenen Todeszeitpunktes an Boden.[*]

Eine weitere epochale Leitidee ist die einer umfassenden, auf gesellschaftlichen Konsens gegründeten Toleranz gegenüber abnormen Verhaltensweisen. Diese Einstellung hat ihre guten Gründe, die vor allem auch auf der geschichtlichen Erfahrung der staatsterroristischen Intoleranz im Nationalsozialismus beruhen. Nach dem paracelsischen Diktum, nach dem die Dosis das Gift macht, muss jedoch überlegt werden, ob und wann gegebenenfalls Toleranz in schädliche Gleichgültigkeit und unverantwortliches Treibenlassen umschlägt. Dieser Fall ist anzunehmen, wenn allen Ernstes ein Recht auf Rausch propagiert wird. Die Bestrebungen sich als fortschrittlich empfindender gesellschaftlicher Gruppen auf Freigabe des Cannabiskonsums sind in diesem Zusammenhang durchaus ernst zu nehmen. Es darf als erwiesen gelten, dass der Gebrauch von Cannabispräparaten durchaus nicht nur ein sympathisch lässliches Verhalten junger Leute ist, dem keine suchtmedizinische Bedeutung zukommt. Die Tatsache der möglichen psychischen Abhängigkeit ist nicht zu bezweifeln.

Abb. 1 Prof. Dr. med. Kurt Heinrich.

Literatur

  • 1 Scherbaum N, Specka M, Hauptmann G, Gastpar M. Senkt die Methadonsubstitutionsbehandlung die Mortalität Opiatabhängiger?.  Fortschr Neurol Psychiat. 2002;  70 1-7
  • 2 Soyka M, Kirchmayer C, Kotter C, John C, Löhnert E, Möller H J. Neue Möglichkeiten der Therapie und Rehabilitation alkoholabhängiger Patienten.  Fortschr Neurol Psychiat. 1997;  65 407-412
  • 3 Burghardt H. Das Suchtproblem.  Fortschr Neurol Psychiat. 1954;  22 473-492
  • 4 Klinkhammer C. Methadonsubstitution in Düssseldorf: Todesfälle werfen Fragen auf.  Deutsches Ärzteblatt. 1996;  93 A 230
  • 5 Waldvogel D, Uehlinger C. Zur Häufigkeit der Injektion von Methadon-Trinklösungen an einem Behandlungszentrum für Opiatabhängige.  Fortschr Neurol Psychiat. 1999;  67 281-283
  • 6 Thomasius R, Schmolke M, Kraus D. MDMA („Ecstasy”) - Konsum - ein Überblick zu psychiatrischen und medizinischen Folgen.  Fortschr Neurol Psychiat. 1997;  65 49-61

Prof. Dr. med. K. Heinrich

Rheinische Kliniken - Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bergische Landstraße 2

40629 Düsseldorf

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