Gesundheitswesen 2001; 63(12): 748-754
DOI: 10.1055/s-2001-18832
Originalarbeit
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Durchimpfungsraten von Routineimpfungen bei einschulungspflichtigen Kindern als quantitatives Maß für das Impfverhalten

Eine retrospektive Langzeitbeobachtung über zehn JahreImmunisation Rates of Routine Vaccinations for School Starters as a Quantitative Measure in the Vaccination BehaviourH. L. Stich, F. Beblo
  • 1Landratsamt Dingolfing-Landau, Dingolfing
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Publication Date:
05 December 2001 (online)

Zusammenfassung

Ziel dieser Längsschnittsuntersuchung war es, die Durchimpfungsraten der öffentlich empfohlenen Routineimpfungen bei Schulanfängern der Geburtsjahrgänge 1984 bis 1994 im Landkreis Dingolfing-Landau für jeden Geburtsjahrgang getrennt zu erfassen und diese miteinander zu vergleichen. Es sollte dargestellt werden, in welchem Umfang sich diese Durchimpfungsraten als quantitatives Maß für das Impfverhalten im Verlauf einer Dekade veränderten bzw. inwieweit die jeweils aktuellen Empfehlungen der STIKO (Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut) für die entsprechende Alterskohorte Beachtung fanden. Zu diesem Zwecke wurden die während der jährlich stattfindenden Einschulungsuntersuchungen in standardisierter Form ermittelten Impfraten retrospektiv nach Geburtsjahrgängen und Geschlecht geordnet bestimmt und in anonymisierter Form ausgewertet.

Dabei konnte festgestellt werden, dass bei den insgesamt elf untersuchten Geburtsjahrgängen die Durchimpfungsraten bei der BCG-Impfung von anfänglich über 50 % auf unter 10 % kontinuierlich sanken. Bei den Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Polio lagen die Raten über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet anfänglich unter 90 %, ab dem Geburtsjahrgang 1989 über 90 %. Beim Geburtsjahrgang 1984 war kein Kind gegen HiB vollständig geimpft, wobei nachfolgend die Durchimpfungsraten relativ rasch anstiegen, so dass beim Geburtsjahrgang 1994 über 90 % der Einschulungskinder komplett gegen diese Infektionskrankheit immunisiert waren. Bei den Pertussis- und den MMR-Impfungen lagen die Durchimpfungsraten zu Beginn des Beobachtungszeitraumes zwischen 40 % und 60 %, stiegen aber in der Folgezeit kontinuierlich auf über 80 % an. Mitte der 80er Jahre war fast kein Einschulungskind gegen Hepatitis B geimpft, in den letzten fünf untersuchten Geburtsjahrgängen stieg diese Durchimpfungsrate relativ rasch auf maximal 64 % an. Zu Beginn des Beobachtungszeitraumes hatte nahezu jedes fünfte Einschulungskind einen altersentsprechenden vollständigen Impfschutz gemäß den jeweils gültigen STIKO-Empfehlungen, gegen Ende dieser Dekade war dies nur bei jedem zwölften Kind der Fall.

Aufgrund der hohen Teilnahmeraten bei den durch den öffentlichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienst durchgeführten Einschulungsuntersuchungen bietet sich hierbei unter anderem die Möglichkeit, die Durchimpfungsraten der Routineimpfungen bei diesen Kindern über einen längeren Zeitraum zeitnah zu ermitteln. Somit kann das Impfverhalten bzw. die Impfbereitschaft einer entsprechenden Zielgruppe im Zeitverlauf quantitativ aufgezeigt werden. Da nach Untersuchungen des RKI (Robert Koch-Institut) der Anteil strikter Impfgegner lediglich zwischen 1,5 % und 5 % liegt, müssen intensive Aufklärungsarbeit geleistet und effektive Impfstrategien entwickelt werden, um die entsprechenden Durchimpfungsraten epidemiologischen Anforderungen entsprechend auf hohem Niveau zu stabilisieren und zu steigern.

Abstract

The aim of this retrospective long-term investigation was to compare the recommended routine vaccinations for school starters in the region of Dingolfing-Landau, recording the results separately by birth years and comparing these with one another. It was to show to what extent changes in the quantitative measures in the vaccination behaviour were recorded over a period of one decade, respectively to what extent the current recommendations of any one time of the STIKO (Permanent Vaccination Commission of the Robert Koch-Institute) were reflected within each age group. For this purpose during the annual standardised examinations of school starters the rates of vaccinations were recorded according to the various birth years and sex, determined and anonimously evaluated.

It was found that of the total eleven examined birth years the vaccinations in series of BCG was reduced continually from a commencing 50 % plus to under 10 %. Regarding vaccinations against diphtheria, tetanus and polio the frequency for the total examined period commenced at a rate of under 90 %, increasing to over 90 % for the birth years of 1989 and beyond. No child of the birth year of 1984 was completely vaccinated against HiB, whereas the rate of vaccinations rose relatively quickly so that by the birth year 1994 over 90 % of the school starters were completely immunised against this infectious disease. As far as the pertussis and MMR vaccinations were concerned the rate at the beginning of the observation period was between 40 % and 60 %, increasing continually in the following period to over 80 %. By the middle ‘eighties hardly any school starters had been vaccinated against hepatitis B, whereas, in the last five examined birth years the rate increased relatively quickly to 64 % maximum. At the beginning of the observed period nearly every fifth school starter had, age related, complete vaccination protection, in respect of the then valid STIKO recommendations. At the end of this decade this applied only to every twelfth child.

Due to the high rates of participation of school starters examinations carried out by the Public Child and Youth Health Service it is possible to determine the vaccination rates of children as it relates to the routine vaccinations carried out over a longer period and on a topical basis. As a result the vaccination behaviour, respectively the willingness of a relevant target group during that period can be shown quantitatively. As the investigations of the RKI (Robert Koch-Institute) have shown, the share of the strict opponents of vaccinations is merely between 1.5 % and 5 % resulting in the necessity for intensive educational work and the development of effective vaccination strategies which are needed in order to stabilise the rates of vaccinations, respectively to meet epidemiological requirements at a high level and to further improve the present rate.

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Dr. med Heribert Ludwig Stich, Medizinaloberrat

Landratsamt Dingolfing-Landau
Abteilung Gesundheitswesen

Obere Stadt 1

84130 Dingolfing

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