Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(Suppl 1): 2-3
DOI: 10.1055/s-2001-11844
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

R. Zander1 , B. von Bormann2 , V. Kretschmer3
  • 1Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Mainz,
  • 2Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, St. Johannes-Hospital, Duisburg,
  • 3Abteilung für Transfusionsmedizin und Gerinnungsphysiologie der Universität Marburg
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die Gewinnung von Erythrozyten aus dem Vollblut eines Spenders oder dem Wundblut eines Patienten hat zum Ziel, diese in extrakorporalen Systemen wie zum Beispiel einer Herz-Lungen-Maschine einzusetzen, oder zu konservieren, um sie einem Empfänger nach Lagerung zu transfundieren oder dem Patienten nach Aufbereitung zurückzugeben. Limitierend wirkt in allen Fällen die Qualität der so gewonnenen, aufbereiteten oder gelagerten Erythrozyten, da sie extrakorporal immer ihre physiologischen Eigenschaften mehr oder weniger verändern.

Die Beiträge dieses Supplements widmen sich den Fragen,

wie die Erythrozytenqualität in vitro zu charakterisieren ist, welche Konsequenzen sich für die Erythrozytenqualität nach Transfusion in vivo ergeben, wo die Qualitätskontrolle bzw. ihre Diagnostik zu verbessern wäre und ob es neue therapeutische Ansätze zur Beeinflussung der Erythozyten-Qualität gibt.

Die Qualität von Erythrozyten-Konzentraten in Additivlösungen wird in dem Beitrag von Pindur et al. mit Hilfe hämorheologischer Messmethoden evaluiert, wobei verschiedene Additivlösungen untersucht werden. Danach verhindert ADSOL im Vergleich zu den herkömmlichen Lösungen PAGGS-M und SAG-M während der Lagerung am effektivsten den Verlust der Verformbarkeit der Erythozyten, wobei allerdings häufiger Mikroaggregate in Kauf zu nehmen sind. Es bleibt abzuwarten, ob die daraus resultierende Empfehlung angenommen werden wird, entsprechende Filtersysteme bei Transfusion einzusetzen.

Die allgemein akzeptierte These einer „Hämotherapie nach Maß”, also der gezielte Einsatz von Erythrozyten bzw. Plasma allein nach entsprechender Indikation, wird zu Recht von Mansouri Taleghani et al. mit den Befunden von leukozytendepletiertem Vollblut in CPDA-1 infrage gestellt. Die Verbesserung der biochemischen und rheologischen Erythrozyten-Qualität von Vollblut im Vergleich zu Erythrozytenkonzentraten durch eine Leukozyten-Depletion vor der Lagerung rechtfertigt in jedem Falle eine Diskussion „Vollblut versus Erythrozytenkonzentrat”.

Die Befürchtung, dass der Kalium-Austritt aus den Erythrozyten während der Lagerung eine Hyperkaliämie beim Patienten nach Transfusion verursachen könnte, wird mit dem Beitrag von Walther-Wenke et al. weitgehend ausgeräumt. Die entsprechenden Messwerte zeigen, auch für bestrahlte Präparate mit etwa verdoppelter Kaliumkonzentration, dass nicht die extrazelluläre Kaliumkonzentration eines Erythrozytenkonzentrates entscheidend ist, sondern die mit einer Transfusions-Einheit mitgeführte Kalium-Menge, die wegen des kleinen Plasma-Anteils relativ gering bleiben muss.

Die Zufuhr von Säuren mit der Stabilisator- und der Additivlösung, eine Verdünnung oder das Waschen mit einer HCO3 --freien Lösung zwingen Erythrozytenpräparaten eine Azidose auf. Zander et al. zeigen, dass Erythrozytenkonzentrate mit dem Base Excess (BE) besser charakterisiert werden als mit dem aktuellen pH-Wert, dass der BE bereits direkt nach der Herstellung sehr negativ ist und bei Lagerung nach 6 Wochen auf -50 mmol/l abfällt. Aus den Befunden werden folgende Schlussfolgerungen abgeleitet: Zur Notfall- oder Massiv-Transfusion sollten nur möglichst frische Erythrozytenkonzentrate zum Einsatz kommen; für die Pädiatrie werden die Erythrozyten nach Verwerfen des Überstandes in Frischplasma resuspendiert oder vor ihrem Einsatz in der Herzchirurgie im „Cell Saver” aufbereitet.

Die deutliche Zunahme der Azidose von Erythozytenkonzentraten während der Lagerung ist Gegenstand des Beitrages von Lachtermann et al., in dem gezeigt wird, dass die Milchsäure-Bildung der Erythrozyten allein für die Änderung des Base Excess verantwortlich ist und sich die in den Erythrozyten gebildete Milchsäure vornehmlich auf das Plasma verteilt.

Die immensen Anstrengungen zur Verbesserung der Erythrozytenqualität in vitro müssen allein daran gemessen werden, in welchem Maße diese Erythrozyten in vivo einen Transport von Sauerstoff gewährleisten können oder nicht. Die entscheidende Fragestellung, von von Bormann et al. bearbeitet, lautet daher, ob die Gewebeoxygenierung - nachweislich - von einer Erythrozyten-Transfusion profitiert. Die Autoren müssen erneut feststellen, dass es keine klinische Studie gibt, die belegt hätte, dass die O2-Versorgung durch normovolämische Anämie bis 7 g/dl verschlechtert worden wäre, oder ein Patient von einer Anhebung der cHb auf 10 g/dl profitiert hätte. Sie setzen sich zu Recht mit dem Ergebnis der so genannten Hébert-Studie aus 1999 auseinander (Lit Nr. 28 der Autoren): A restrictive stategy (cHb 8.5 ± 0.7 g/dl, 418 patients) of red-cell transfusion is at least as effective as and possibly superior to a liberal transfusion strategy (cHb 10.7 ± 0.7 g/dl, 420 patients) in critically ill patients, with the possible exception of patients with acute myocardial infarction and unstable angina.

Unter anderem damit kommen sie zu der Konklusion, dass für Patienten ohne koronare Herzkrankheit und/oder Myokardinsuffizienz eine cHb von 7,0 g/dl als sicher angesehen werden kann, wobei sicher bedeutet, dass mit einem weiteren Absinken der cHb keine akute Gefährdung einerseits und keine zwingende Notwendigkeit einer sofortigen Transfusion andererseits eintritt, da die kritische cHb mit 2-3 g/dl anzunehmen ist.

Der Versuch eines In vivo-Nachweises der Autoren Mörsdorf et al. schlug leider fehl, mit klinischen hämorheologischen Daten von Erythrozyten-Konzentraten in additiver Lösung mögliche Unterschiede zwischen verschiedenen Additivlösungen aufzuzeigen: Es ergaben sich keine Hinweise auf eine klinisch bedeutsame Beeinflusssung der Hämorheologie, des Gerinnungssystems oder des so genannten Outcome durch die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten in verschiedenen Additivlösungen.

Die im Rahmen der Qualitätskontrolle von Erythrozytenkonzentraten erforderliche Messung der Konzentration des freien Hämoglobins zur Ermittlung der Hämolyserate, maximal zulässiger Wert gemäß EU-Richtlinie 0,8 % der Erythrozytenmasse, war Gegenstand eines von Tapernon et al. durchgeführten Ringversuches in Deutschland. Aufgrund der Auswertung der Messergebnisse der teilnehmenden 73 Institute, von 130 um Teilnahme gebetenen, werden nur das Cyanhämiglobin-Verfahren und die 3-Wellenlängen-Methode nach Harboe empfohlen.

Zur Bestimmung der Lagerungsparameter von Erythrozytenkonzentraten, nämlich die Konzentrationen von freiem Hämoglobin, Kalium, Glukose und Laktat sowie dem pH-Wert kann nach den Untersuchungen von Sipurzynski-Budraß et al. ein Multiparameter-Elektroden-Messsystem (AVL Omni®) eingesetzt werden, das sehr gute Korrelationen zu Vergleichsmethoden aufweist. Auf diesem Wege kann für spezielle Präparationen (z. B. intrauterine oder Austauschtransfusion) ohne Eröffnung des Beutels sehr schnell aus kleinen Probevolumina eine Bestimmung relevanter Lagerungsparameter vorgenommen werden.

Therapeutische Ansätze zur Verbesserung der Erythrozytenqualität gelagerter oder zu waschender Präparationen gibt es nur vereinzelt. In dem Beitrag von Zander wird über eine so genannte Physiologische Erythrozyten-Protektionslösung berichtet: Neben den weitgehend normalen Elektrolytkonzentrationen (iso-ionisch, iso-tonisch) und unter Verwendung von Gelatine (iso-onkotisch) zur Erythrozyten-Protektion weist die primär in einem 3-Kammer-Beutel aufbewahrte Lösung nach Mischung der drei Komponenten erstmals einen physiologischen Säure-Basen-Status auf (iso-hydrisch), d. h. eine HCO3 --Konzentration von 24 mmol/l bzw. einen Base Excess (BE) von 0 mmol/l mit einem pH von ∼ 7,40 bei einem pCO2 von ∼ 40 mmHg.

Neben dem Einsatz als Vasodilatator und Rheologikum soll Pentoxifyllin in vitro während Erythrozytenlagerung nach Pindur et al. einen Einfluss auf die Verformbarkeit von Erythrozyten bei Erythrozytenkonzentraten in Additivlösungen ausüben, d. h. die nachteiligen Effekte auf die Verformbarkeit weitgehend unterdrücken.

Mechanische Belastungen von Erythrozyten können während maschineller Autotransfusion und extrakorporaler Zirkulation auftreten, die Zusammensetzung der verwendeten Wasch- oder Dilutionslösungen kann erheblich von den physiologischen Bedingungen abweichen. In dem Beitrag von Sümpelmann et al. wird gezeigt, dass die mechanische Fragilität von Erythrozyten deutlich erhöht wird, wenn die Plasmaproteine durch kristalloide Lösungen, Hydroxyethylstärke oder Dextran diluiert werden, die Stabilität wird dagegen deutlich verbessert, wenn sie in Gelatinelösungen suspendiert werden. Der erythrozytenprotektive Effekt der Gelatine wird in vitro sichtbar, wenn diese als Zusatz zu Waschlösungen für die maschinelle Autotransfusion oder Dilutionslösungen bei extrakorporaler Zirkulation eingesetzt wird. Gelatine schützt Erythozyten aber auch in vivo vor mechanischer Belastung.

Prof. Dr. med. R. Zander

Institut für Physiologie und Pathophysiologie
Universität Mainz

Saarstraße 21

55099 Mainz

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