Der Klinikarzt 2017; 46(10): 511
DOI: 10.1055/s-0043-120548
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lohnt sich Krebsscreening?

Günther J. Wiedemann
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Publication Date:
24 October 2017 (online)

Im Jahr 2016 erkrankten mindestens 229 920 Frauen und 252 550 Männer an Krebs in Deutschland. 2020 werden deutlich mehr Krebskranke erwartet (etwa 244 100 Frauen und etwa 274 900 Männer; aus [1] ). Mit dem Zuwachs der durchschnittlichen Lebenserwartung erreichen immer mehr Deutsche das Krebserkrankungsalter (Frauen: 67,2 Jahre, Männer: 68,3 Jahre). Aber der Anteil der Älteren in Deutschland steigt stärker als die vorhergesagte Krebsinzidenz der Älteren. Welche Maßnahmen gegen Krebs haben sich also nachweislich gelohnt?

Bei den häufigsten Krebsentitäten sind wirksame Screeningmaßnahmen eingeführt worden: Beim Darmkrebs sinken seit 2003 bei beiden Geschlechtern die Inzidenzraten in allen Altersgruppen ab 55 Jahre. 2002 war die Darmspiegelung eingeführt worden. Beim Brustkrebs verringerte sich die Häufigkeit von Neuerkrankungen. Zwischen 2005 und 2009 wurde das Mammografie-Screening-Programm eingeführt. Beim Prostatakarzinom sank die Inzidenz in den Altersgruppen ab 75 Jahre und in den anderen stabilisierte sie sich. Dies wird mit der Früherkennung von Prostatakarzinom durch die PSA-Testung in Zusammenhang gebracht.

Wäre es jetzt nicht langsam an der Zeit ein low-dose-CT-Screening-Programm zur Früherkennung von Lungenkrebs bei Risikogruppen nach dem Vorbild der USA einzurichten [2,] [3], besonders im Hinblick auf die wachsenden Erkrankungs- und Sterberaten der Frauen in Deutschland?

Erkrankungen der lymphatischen und blutbildenden Organe haben in Deutschland im erwarteten Rahmen bei Erwachsenen und Kindern zugenommen. Die Mortalität ist seit 20 Jahren deutlich rückläufig, was ganz allgemein für die Kompetenz der Hämatologen in Deutschland spricht.

Anlass zu kritischer Betrachtung einer Antitumorbehandlung in finalen Stadien einer Krebserkrankung bietet eine Studie von Holly G. Prigerson und Mitarbeitern [4]. Hier zeigte sich, dass die Ziele einer palliativen Krebstherapie (Symptomlinderung und Lebensverlängerung) häufig komplett verfehlt wurden. Eine weitere klinisch wichtige Studie von Jennifer Temel und Mitarbeitern [5] hatte schon vor einigen Jahren gezeigt, dass ein frühzeitiger Übergang zu einer rein symptomorientierten Behandlung nicht nur die Lebensqualität von Krebspatienten steigert, sondern auch das Überleben verlängern kann.

51 % aller Männer und 43 % aller Frauen erkranken derzeit in Deutschland an Krebs (den weißen Hautkrebs nicht mit eingerechnet). Etwas mehr als die Hälfte der Krebspatienten werden geheilt, die anderen lebenslang palliativ versorgt. Die adäquate Krebsbehandlung ist also ein großes, schwieriges Thema für alle klinisch tätigen Ärzte, nicht nur für Krebs-Spezialisten.

 
  • Literatur

  • 1 Robert Koch Instutut. Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016. Berlin: 2016
  • 2 The National Lung Screening Trial Research Team. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. NEJM 2011; 365: 395-409
  • 3 Begnaud Abbie. ASCO 2016: Practical implementation of lung cancer screening. 2016
  • 4 Prigerson HG, Bao Y, Shah MA. et al. Chemotherapy use, performance status, and quality of life at the end of life. JAMA Oncol 2015; 6: 778-784
  • 5 Temel JS, Greer JA, Muzikansky A. Early palliative care for patients with metastatic Non-Small-Cell-Lung cancer. NEJM 2010; 363: 733-742