Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(09): 532
DOI: 10.1055/s-0042-114405
Fokussiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Referat – Plädoyer für eine poly- statt monosymptomatische Diagnostik: Psychiatrische Symptome des Prodomalstadiums der Huntington Erkrankung (HD) im 10-Jahresverlauf

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Publication Date:
08 September 2016 (online)

Hintergrund: Die HD manifestiert sich als autosomal-dominante neurodegenerative trinukleotid-repeat-Erkrankung (CAG-Erkrankung) mit motorischen, kognitiven und psychiatrischen Symptomen. Formal gesehen wird die Erkrankungsdiagnose bei motorischen Auffälligkeiten wie Chorea, Rigidität und Bradykinese gestellt. Die Manifestation psychiatrischer Symptome ist sehr variabel, ihr Verlauf korreliert nicht komplett mit der motorischen oder kognitiven Krankheitsprogression. Als Beitrag zu einem besseren Verständnis für die zeitliche Entwicklung der psychiatrischen Manifestationen bei Huntingtin-Genmutationsträgern fokussiert die vorliegende Studie auf das HD-Prodromalstadium.

Methodik: Im Rahmen der PREDICT-HD-Studie wurden in 6 Ländern (USA, Kanada, Deutschland, Österreich, Spanien, Großbritannien) von 1305 Studienteilnehmern 10-Jahres-Langzeitdaten gewonnen. Anhand einer Checkliste mit 90 Items wurden die psychiatrischen Symptome der vorangegangenen 7 Tage auf einer Skala von 0 bis 4 erfasst. Hieraus ergaben sich 3 globale Messinstrumente (Global Severity Index, Positive Symptom Total, Positive Symptom Distress Index) sowie Scores für 9 spezifische Symptombereiche (Somatisierung, Zwang, interpersonelle Sensitivität, Depression, Angst, Feindseligkeit, phobische Angst, Paranoia, Psychotizismus).

1007 der Teilnehmer waren Huntingtin-Gen-Mutationsträger (ab CAG-Repeat-Anzahl von 36). Weitere 298 waren gesunde Kontrollprobanden. Zusätzlich wurden 1235 nahe Bezugspersonen der Genmutationsträger zur Fremdbeurteilung herangezogen. Die Genmutationsträger (mit Studienteilnahme unabhängiger Gentestung) wurden gemäß eines CAG-Age-Product-Scores eingeteilt in eine hohe (< 7,6 Jahre), mittlere (7,6–12,8 Jahre) und niedrige 5-Jahres Wahrscheinlichkeit (> 12,8 Jahre) für eine motorische Konversion.

Einmal pro Jahr erfolgte eine Examination der Studienteilnehmer mit Hilfe standardisierter kognitiver, motorischer, funktionaler und psychiatrischer Ratings sowie eine zerebrale Bildgebung.

Ergebnisse: Die Ergebnisse der Eigen- vs. Fremdbeurteilung psychiatrischer Parameter weisen auf eine abnehmende Einsichtsfähigkeit der Huntingtin-Genmutationsträger hin, je näher der Zeitpunkt der motorischen Konversion rückt. Umso größere Relevanz kommt dem Einholen von Fremdbeurteilung bei der Beurteilung psychiatrischer Symptome in Prodromal- Huntington-Erkrankten zu.

Zusammenfassung: Die vorliegende Studie repliziert und ergänzt ältere Ergebnisse. Sie schafft Gewissheit, dass psychiatrische Symptome bei der HD mit dem Krankheitsschweregrad zunehmen und somit als sekundär zum neurodegenerativen Krankheitsprozess angesehen werden können.