Diabetologie und Stoffwechsel 2016; 11(03): 207
DOI: 10.1055/s-0036-1580246
Leserbrief und Erwiderung
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Leserbrief – Leserbrief zum Beitrag „Optimierte Basalratenprofile bei Typ1-Diabetes unter Insulinpumpenbehandlung“

Rolf Renner
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Publication Date:
07 July 2016 (online)

In Ihrem Beitrag „Optimierte Basalratenprofile bei Typ1-Diabetes unter Insulinpumpenbehandlung“ in Diabetologie und Stoffwechsel 2016;11:95–101 beziehen sich die Autoren M. Kahle und Mitarbeiter wiederholt auf den Basalratenschieber, den ich im Klinikum München-Bogenhausen als Starthilfe für Kollegen und Diabetesberaterinnen entwickelt habe. Im Wesentlichen wird der 2-gipfelige Kurvenverlauf bestätigt, die Abweichungen werden ausführlich hervorgehoben.

Hierzu möchte ich folgende Punkte anführen:

  1. In Bad Lauterberg wurde und wird die Basalrate mithilfe eines Fastentages ermittelt. Während eines 1-tägigen Fastentagtests kommt ein allmählich ansteigender Insulinbedarf zustande, da nach der nächtlichen Nüchternphase der Kalorienbedarf über die Lipolyse des Fettgewebes gedeckt wird und die freien Fettsäuren, die zu Insulinresistenz führen, bis zum Abend ansteigen. Dadurch kommt, im Vergleich zu der von unserer Arbeitsgruppe eingeschlagenen Vorgehensweise, die Basalratentestung über die Mittagszeit bzw. Abendzeit bzw. über Nacht an jeweils verschiedenen Tagen zu untersuchen, eine Abflachung der 2-gipfefigen Kurve zustande. Bei Gesunden ist der Glukoseanstieg nach dem Mittagessen geringer, wenn ein Frühstück gegessen wurde. Diese Wirkung einer vorausgegangenen Mahlzeit auf die Verminderung des Glukoseanstiegs der nachfolgenden ist bereits 1921 beschreiben worden [1]. A Jovanovic, J Gerard und R Taylor beschreiben in ihrer Publikation „Second Meal Phenomenon and Diabetes“ einen um 85 % geringeren Anstieg der Blutglukose nach dem Mittagessen, wenn ein Frühstück vorausging. Dieser Blutglukoseanstieg war zu den erhöhten Konzentrationen der freien Fettsäuren assoziiert [2]. Auch D Jakobowicz und Mitarbeiter beschreiben eine deutlich höhere glykämische Reaktion als nach gleichen Mahlzeiten an einem Tag mit Frühstück [3]. Dementsprechend wundern sich Typ-1-diabetische Patienten, die gelegentlich das Frühstück auslassen, dass die Blutzuckerwerte nach dem Mittagessen deutlich erhöht sind. Ein 24-Stunden-Fastentag ist somit nicht die geeignete Basis einer Validierung der erforderlichen Insulindosen, sondern vielmehr die Grundlage einer zunehmenden Insulinresistenz.

  2. Ausgeschlossen wurden in Bad Lauterberg Patienten < 16 und > 80 Jahre. In unserer Basalratenanalyse befand sich kein Patient im Alter > 60 Jahre. Mit zunehmendem Alter gehen die Basalratenschwankungen kontinuierlich zurück. Bei 60- bis 80-jährigen Pumpenträgern ist der Morgengipfel abgeschwächt und der Abendgipfel oft kaum mehr vorhanden. Da offensichtlich mehr Patienten im höheren Alter in Bad Lauterberg mit Insulinpumpen behandelt wurden als bei uns, trägt gerade auch diese Tatsache zu einer Differenz der Basalratenkurven bei.

  3. Desweiteren waren in unserer Analyse Patienten mit einer Nephrophathie mit Nierenfunktionseinschränkung enthalten. Kahle u. Mitarb. betonen, dass in Bad Lauterberg Niereninsuffizienz kein Ausschlusskriterium war. Kreatininspiegel von 0,5 bis 8,4 (range) werden tabellarisch genannt. Auch diese Tatsache trägt infolge des zum Teil erheblich geringeren Insulinbedarfs von Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zu einer Veränderung der erforderlichen Basalrate bei.

  4. E Wizemann hat eine Evaluierung unserer Basalratenempfehlungen über 6 Monate vorgenommen [4]. Erfreulicherweise waren die Basalratenprofile der ein halbes Jahr nach Krankenhausentlassung nachuntersuchen Patienten bei guter Glukoseregulation nur geringgradig verändert worden. Die Absenkung des HbAlc betrug 0,53 %, die Hypoglykämierate (Blutglukosewerte < 50 mg / dl} ging innerhalb eines halben Jahres um 87 % zurück.

  5. In Abbildung 2 der vorgelegten Publikation werden die aktuellen Basalraten mit der vorhergesagten Basalrate nach Dr. Renner verglichen. Daraus wird deutlich, dass zwischen 3.00 und 4.00 Uhr gleiche Raten bestehen, dann bei Renner ein steilerer Anstieg zum Morgen eintritt, der wiederum rascher zurückgeführt wird als dies bei der „aktuellen Basalrate Lauterberg“ geschieht. Derselbe Verlauf wiederholt sich am Abend. Signifikant höhere Basalratenspiegel hat die „aktuelle Basalrate Lauterberg“ über Nacht. Gerade in der insulinsensitivsten Phase des menschlichen Organismus von 22.00 bis 3.00 Uhr werden von Kahle u. Mitarb. deutlich höhere Raten als nach der von uns erarbeiteten Basalratenverteilung appliziert. Gerade im Hinblick auf ältere Typ-1-diabetische Patienten und auf Patienten mit Nephropathie und Nierenfunktionseinschränkung erscheint die Anwendung einer Basalrate mit relativ hohen, kaum variierten Nachtraten in diesem Zeitabschnitt als riskant.

Zusammenfassend muss hervorgehoben werden, dass die Stärke der Bogenhausener Basalrate darin besteht, dass sie evaluiert wurde. Sie wird als Starthilfe empfohlen. Im Übrigen kann die Ansicht der Autoren M Kahle u. Mitarb., dass ihr verwendetes Basalratenprofil als Grundlage für allgemeine Empfehlungen geeignet sei, nach den aufgeführten Punkten nicht akzeptiert werden.

 
  • Literatur

  • 1 Straub H. Untersuchungen über den Zuckerstoffwechsel des Menschen. Z Clin Med 1921; 91: 44-48
  • 2 Jovanovic AJ, Gerard J, Taylor R. Second Meal Phenomenon and Diabetes. Diabetes Care 2009; 32: 1199-1201
  • 3 Jakobuwicz D et al. Diabetes Care 2015; 38: 1820-1826
  • 4 Wizemann E et al. Diabetes und Stoffwechsel. 2001; 10: 57