Pädiatrie up2date 2014; 09(03): 219
DOI: 10.1055/s-0034-1367655
Editorial
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Editorial

Jörg Dötsch
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Publication Date:
20 August 2014 (online)

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Jörg Dötsch

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit Monaten ist die Diskussion um die hohen Versicherungssummen bei freiberuflichen Hebammen in den Schlagzeilen. Die Sorge um einen ganzen Berufsstand, um die Entscheidungsfreiheit werdender Mütter und Väter und um ein Stück medizinischer Tradition bewegt die Gemüter. Unabhängig davon, welche persönliche Meinung man zu diesem Thema haben mag, so stellt es leider doch nur die Spitze eines Eisberges dar: Denn trotz gleichbleibender Zahl an Anerkennungen von berechtigten Schadensfällen, steigen bei Schlichtungs- und Gutachterstellen und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen die eingereichten Klagefälle von Jahr zu Jahr. Ein Versicherer nach dem anderen zieht sich aus dem Klinikgeschäft zurück. Und auch die Prämien für niedergelassene Kollegen ebenso wie für Kliniken steigen je nach Fachbereich unaufhaltsam.

Wo könnten Auswege aus der Misere liegen? Eine analog zur Bankenrettung betriebene Rettung des Berufsstandes der Hebammen, wie sie von dessen Mitgliedern gefordert wird, erscheint rein symptomatisch (der Vergleich schon impliziert dies bereits). Wichtiger dürften strukturelle Veränderungen sein, bei denen aber nicht vergessen werden sollte, dass sich die zunehmende Klagebereitschaft der Patienten in einer zunehmend gesellschaftlichen Kultur des Misstrauens gegenüber den im Gesundheitssektor Tätigen gründet.

Hier ein paar Vorschläge meinerseits:

  1. Eine Entkopplung von persönlicher Schuld und Versorgungsansprüchen von Patienten, z. B. durch die Einführung eines Versorgungsfonds für Patienten, die infolge einer Behandlung einen dauerhaften gesundheitlichen Schaden haben.

  2. Beendigung der primär ökonomisch gesteuerten gesundheitspolitischen Reformprozesse (damit wird die Qualität konsequent schon zum Sekundäraspekt), die ambulante wie stationäre Bereiche und Klinik über die mehrere Jahre währende Phase der wirtschaftlichen Agonie in die letztendliche Aufgabe treiben. Konsekutive Probleme in der Patientenversorgung sind die unweigerliche Folge.

  3. Erreichen einer neuen Qualität der Patienten-Behandler-Beziehung mit verstärkten informellen Möglichkeiten zur zielgerichteten Auseinandersetzung mit Patientenunzufriedenheit oder dem Erleben der eigenen Machtlosigkeit als Elternteil.

  4. Verantwortungsvolle Selbstkontrolle in der Presse, um systematische, dem Mainstream und dem Primat der Auflage folgende Vorverurteilungen zu vermeiden.

Doch dorthin ist es ohne Zweifel ein weiter Weg, da dies ein prinzipielles Umdenken und eine Abkehr von der Schuldorientierung zur Lösungsorientierung und von den primär marktwirtschaftlichen zu primär qualitätsbezogenen Prinzipien der Gesundheitspolitik bedeuten würde. Bis dahin bleiben nur die bewährten Erkenntnisse, dass eine möglichst frühzeitige wertschätzende und ehrliche Kommunikation mit Eltern und Patienten unnötige Klageanstrengungen verhindern kann und letztlich natürlich auch die Qualität der eigenen Fortbildung bei der Vermeidung bedenklicher Situationen hilft.

In diesem Zusammenhang ist auch wieder die aktuelle Ausgabe von Pädiatrie up2date zu sehen, die sich mit brisanten Themen, wie „Hat mein Kind einen Immundefekt?“ ebenso auseinandersetzt, wie mit teilweise akut bedrohlichen Situationen wie den gastrointestinalen Blutungen oder Gerinnungsstörungen und schließlich mit einem der häufigsten Symptome der Pädiatrie, dem Giemen und Brummen. Wir hoffen, Ihnen mit den praxisnahen Beiträgen auch diesmal wieder nicht nur ein Auffrischen und Erweitern des Wissens, sondern auch ein kurzweiliges Lesen ermöglichen zu können.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Prof. Dr. med. Jörg Dötsch
Mitherausgeber der Pädiatrie up2date