Z Sex Forsch 2013; 26(2): 143-144
DOI: 10.1055/s-0033-1335600
Debatte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Debatte zum Reformbedarf des Transsexuellengesetzes (TSG)

Abschaffen, ändern oder pragmatisch anwenden? Eine Einführung
Katinka Schweizer
a   Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Bernhard Strauß
b   Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Jena
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Publication History

Publication Date:
24 June 2013 (online)

Das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen, das sog. Transsexuellengesetz (TSG), ist seit nunmehr 22 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Seither haben sich deutliche Änderungen ergeben im Hinblick auf das Verständnis des in diesem Gesetz geregelten Phänomens, die beispielsweise auch die Bezeichnung Transsexualität betreffen. In der soeben veröffentlichten 5. Version des DSM wird als neuer Begriff der Terminus „Gender Dysphoria“ (Geschlechtsdysphorie) für die diagnostische Bezeichnung eines Leidens an der Inkongruenz zwischen der erlebten und der zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit verwendet, was als weiterer Schritt zu einer Entpathologisierung der Transidentität gesehen werden kann. Die diagnostische Neuordnung bedingt die Entwicklung neuer Standards zur Diagnostik und Behandlung, die derzeit entwickelt werden und über die in dieser Zeitschrift demnächst berichtet wird.

Bestrebungen zur Reform oder Abschaffung des TSG kursieren seit einigen Jahren, wurden vor allem von den Experten in eigener Sache, weniger von fachlicher Seite formuliert. In der „offiziellen“ Fachliteratur kommt die Debatte entsprechend langsam in Gang. Mit dieser Ausgabe wollen wir beginnen, der aktuellen Debatte zum TSG in der Zeitschrift für Sexualforschung ein Forum zu geben. Dazu haben wir zunächst Vertreter_innen verschiedener klinischer Positionen gebeten, sich zur Bedeutung und zum Reformbedarf des TSG im Jahr 2013 zu äußern und den eigenen klinischen Umgang damit zu erläutern.

Die dargestellten Positionen zeigen ein vielfältiges und differenziertes Spektrum. Alle fünf Autor_innen sind oder waren als Gutachter_innen im Rahmen des TSG tätig und verfügen somit nicht nur über theoretisch fundierte Fachkenntnisse, sondern auch über ein großes Erfahrungswissen. Ärztliche und psychologische Psychotherapeut_innen und eine Expertin in eigener Sache kommen in unserer Debatte zu Wort. Einig sind sich die Kommentatoren in der Reformbedürftigkeit des TSG. In der Argumentation und Radikalität und hinsichtlich konkreter Änderungsvorschläge unterscheiden sie sich deutlich voneinander.

Sophinette Becker geht in ihrem Beitrag „MRT statt TSG – Vom Essentialismus zum Konstruktivismus und wieder zurück“ umfassend auf die Geschichte und die aktuell erneut aufgekommene Biologisierung der Debatte ein, ohne auf einen sehr konkreten Änderungsvorschlag zu verzichten (Entpathologisierung vs. Entmoralisierung).

Es folgt ein Beitrag zur „Psychodiagnostik von Geschlechtsidentität“ von Annette-Kathrin Güldenring, die für eine zeitnahe Abschaffung des TSG plädiert aufgrund der aus ihrer Sicht unnötigen Psychiatrisierung Betroffener. Gunter Schmidt ergänzt Güldenrings Beitrag mit Bezugnahme auf seine eigene Praxiserfahrung und sexualwissenschaftliche Arbeit.

Einen deutlichen Praxisbezug stellt auch P. Christian Vogel her, der zunächst die rare forensisch psychiatrische Literatur zum Begutachtungsvorgehen nach dem TSG rezipiert und den Sonderstatus des TSG innerhalb der forensischen Begutachtungspraxis hervorhebt. Am Beispiel des Münchener Vorgehens stellt er dar, wie eine interdisziplinäre Vernetzung und Qualitätszirkelarbeit funktionieren kann und unterbreitet konkrete Reformvorschläge, z. B. die Beschränkung auf einen Gutachter.

Volkmar Sigusch äußert sich schließlich historisch, indem er seine Beiträge zur Vorbereitung, Rezeption und nun einer potentiellen Revision des TSG darlegt und den Begriff des „Liquid Gender“ einführt, mit dem er dem kulturellen Wandel eines Geschlechterverständnisses gerecht werden will.

Wir gehen davon aus, dass die Debatte nicht beendet ist und hoffen, in naher Zukunft weitere Beiträge drucken zu können.