Dialyse aktuell 2012; 16(5): 253
DOI: 10.1055/s-0032-1321519
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ein Jahr nach der EHEC-Epidemie – und jetzt?

Christian Schäfer
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Publication Date:
18 June 2012 (online)

Die EHEC-Epidemie war in Deutschland vor etwa einem Jahr noch nicht ausgestanden. Mitte Juni 2011 gaben die zuständigen Behörden eine gemeinsame Pressemeldung heraus, deren Aussage auch heute noch aktueller Stand ist: Die Menschen hatten sich wohl mit den enterohämorrhagischen Escherischia coli vom Stamm O104:H4 (EHEC O104:H4) über den Verzehr von Bockshornkleesamen aus Ägypten infiziert (siehe auch Editorial in Dialyse aktuell 6/2011).

Die Nachwirkungen der Epidemie sind immer noch zu spüren – so zum Beispiel im finanziellen Bereich: Wie diesen Mai durch die Medien ging, haben einige Kliniken größere Erlösausfälle zu verzeichnen: Einem EHEC-Fall werden in den DRG („diagnosis related groups“) 7800 Euro zugeordnet. Die Behandlung eines EHEC-Patienten kostete während der letztjährigen Epidemie aber gut und gerne mal das 5-Fache.

Die Krankenkassen sind in der Kritik, denn sie hatten 2011 Ausgleichslösungen für die Kliniken angekündigt. Einige Kliniken konnten sich schon mit den Krankenkassen einigen. Andere beschweren sich über anhaltende, langatmige Prüfverfahren beim Medizinischen Dienst (MDK). Hier sind für die Zukunft laut Prof. Reinhard Brunkhorst, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), flexiblere Vorgehensweisen notwendig, wie etwa Sonderbudgets für Epidemien. Das ist meiner Meinung nach eine sehr vernünftige Idee.

Was gibt es von der Forschungsfront zu vermelden? Auf dem 8. VTEC („International Symposium on Shiga Toxin (Verocytotoxin) Producing Escherichia coli Infections“) Anfang Mai 2012 stellten Wissenschaftler neue Ergebnisse vor. So beobachteten deutsche Forscher um Prof. Helge Karch, Münster, dass sich die Virulenz des Stammes der Epidemie 2011 abgeschwächt hat. Sie erklären dies mit der schnellen Evolution der Bakterien – was aber auch heißt, dass sich andere EHEC-Stämme im Handumdrehen in ähnlich gefährliche Varianten verwandeln können, wie es EHEC O104:H4 war. Die Gefahr besteht also weiterhin, was mehr Forschung auf diesem Gebiet erfordert.

Helfen könnte hierbei, die Erregertypisierung mittels DNA-Sequenz-Analyse noch mehr als bisher einzusetzen und die gewonnen Daten möglichst weltweit in Bibliotheken noch besser miteinander zu vernetzen. Darauf aufbauend könnten Kliniker zielgerichtete Therapien entwickeln und einsetzen, so denn die Kosten nicht zu hoch sind – oft zunächst ein Flaschenhals bei neuen Diagnostik- und Therapieformen.

In den USA und Großbritannien prüfen Impfstudien an Rindern, ob man EHEC hierüber aus seinem Hauptreservoir eliminieren kann. Die Fragen nach einer Kostenübernahme für ein Impfprogramm und der kompletten Abdeckung aller EHEC-Varianten sind allerdings noch ungeklärt. Über einen humantherapeutischen Ansatz mit monoklonalen Antikörpern, getestet in einer klinischen Phase-II-Studie, berichtete Dr. Martin Bitzan, Montreal (Kanada). Die beiden eingesetzten Antikörper neutralisierten die von EHEC produzierten Shigatoxine 1 und 2 bei Patienten in Südamerika bei guter Verträglichkeit. Eine klinische Phase-III-Studie ist in Vorbereitung. Das Ziel der Therapie ist es, ein HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) zu vermeiden, indem man die Antikörper präventiv einsetzt. Das ist ja schon einmal vielversprechend. Was gibt es noch?

Klar, nicht nur die finanzielle Abdeckung der Therapien und die Therapieverfahren müssen verbessert werden, auch das Kommunikationswesen und die Meldewege haben Optimierungspotenzial. Fast noch entscheidender ist es aber, dass die Ärzte ihrer Meldepflicht auch nachkommen. Letzteres mahnte Prof. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie im Robert Koch-Institut (RKI), an, nachdem Ärzte EHEC-Fälle 2011 nicht oder nicht komplett gemeldet hatten. Diese Forderung hat sicherlich ihre Berechtigung.

Wenn Sie nun neugierig geworden sind, lesen Sie ab Seite 281 eine Übersichtsarbeit zum Thema „EHEC – Nachlese zur Epidemie des Jahres 2011“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erkenntnisgewinn bei der Lektüre dieser Schwerpunktausgabe der Dialyse aktuell mit dem Thema „Infektionen und Dialyse“.